„Wenn es um die Universalausgabe einer Liebsten ging und jede einzelne Liebste nur eine Sonderform der universellen darstellte, würde jede beliebige von ihnen ihren Zweck erfüllen und könnte eine andere ersetzen, wie es unser moralisch unzulängliches Wesen gebot. Und falls das stimmte, wie konnte ich dann je dazu erzogen werden, irgendwen ein Leben lang zu lieben?“ (E.L. Doctorow: Homer & Langley)
Mein Leben ist schön. Und bleibt spannend. In meinem Horoskop steht: „Lass dich aus deinen vier Wänden locken. Du verpasst sonst ein Abenteuer – und eine Bekanntschaft, die dein Leben radikal verändert.“ Und wer will schon eine radikale Bekanntschaft, die ein Abenteuer darstellt, verpassen? Niemand. So geh ich heute ans m4music und lass mir das Glück in den Schoss fallen. Oder aber ich pflücke Beeren.
Gestern hatten wir einen Anlass. Da sass ich nun in der hintersten Reihe und das Licht schien durch die Fenster und liess den Raum sehr weiss erscheinen. Vor mir sass jemand und ich sah mir seinen Nacken an. Es war ein schöner Nacken und ich liess meine Gedanken treiben. Ich hätte ihn gern berührt. Meinen Arm ausgestreckt und mit den Fingern kurz über seinen Hinterkopf gestrichen. Im Licht sahen die Haare sehr blond und weich aus. Natürlich durfte ich das nicht tun. Ich überlegte mir, dass sehr viel Distanz zwischen uns herrscht. Distanz lässt sich am besten in Geographie darstellen. Es war, als würde zwischen meiner Hand und ihm ein Weltmeer liegen. Mehr noch: Ein Weltmeer und ein ganzer Landstrich. Ein Dschungel, ein undurchdringliches Felsengebiet. Und auch dorthin würde man einfacher gelangen.
Dann aber drehte er sich zu mir um, lächelte, ich streckte meine Hand aus und fuhr mit meinen Fingern über seinen Nacken. Ich hatte Recht, die Haut fühlte sich weich an.