Hirn fressen?

Irgendwo hab ich gelesen, dass es pflanzenähnliche Lebewesen in der See gibt, die – wenn sie geboren werden – sowas wie ein Rückenmark haben oder ein Nervensystem. Somit irgendwie ein Hirn. Sie sind also jung und suchen sich einen Platz zum leben. Sobald sie diesen Platz gefunden haben, wo sie leben können, werden sie sesshaft. Nun, da sie sesshaft sind, lohnt sich ein Nervensystem nicht mehr, da es zu viel Energie braucht. Sie sind ja jetzt an dem Platz angekommen, an dem sie sich den Rest ihres Lebens aufhalten werden. Um also Energie zu sparen und nicht nur das, auch um Energie zu generieren, essen sie ihr Hirn. Denn ein Hirn braucht man nur, wenn man in Bewegung ist. Wer sesshaft ist, braucht kein Hirn.

Beweglichkeit braucht also Geist. Ich habe letzthin jemanden kennengelernt, dessen Beweglichkeit im Kopf ist aussergewöhnlich. Das unglaubliche daran ist, dass er mitten unter Seepflanzen lebt und gar nicht merkt, dass er der einzige mit Nervensystem, dass er der einzige unter ihnen ist, der sich – theoretisch – bewegen könnte. Ich habe mich gefragt, ob ich es ihm sagen soll. Aber was würde das bedeuten? Nehmen wir mal an, er würde mir glauben. Würde er mich nicht dafür hassen, dass ich ihm eine Erkenntnis beschert habe, die ihm gar nichts nützt? Oder aber er weiss es bereits, tief in sich drin verspürt er vielleicht einen kleinen Anflug von Wagemut und Verrücktheit. Vielleicht denkt er sich – in stillen Stunden – dass alles möglich ist. Dass es keine Grenzen gibt mit einem Hirn. Dass Beweglichkeit nicht bloss eine schöne Zugfahrt von Bern nach Luzern bedeutet. Gerne möchte ich mir vorstellen, wie er eines Tages einfach aus seinem Leben spaziert. Die Jacke nimmt, allen fröhlich einen schönen Tag wünscht und sich in Welten begibt. Keine hastig dahingeworfenen Präsentationen mehr, keine Einkaufslisten, kein flimmern eines Bildschirms morgens um sieben im stockdunkeln Büro. Keine Hasten, kein Hetzen, keine unerbittlich fahrenden Fahrstühle mehr, keine gläsernen Türen. Was stattdessen? Ruhe, Zeit, Bewegung im eigentlichen Sinne (die sich ja immer am stärksten in Momenten der Unbeweglichkeit zeigt), Graustufen ausloten. Einen Drink mit einem Schirmchen vielleicht. Vielleicht sogar am Strand. Gedanken über Sinn, über Unsinn, über alles, alles, alles, was noch nie war und was vielleicht auch nie sein wird, jedoch einen kleinen Gedankenfunken wert ist.

4 Gedanken zu “Hirn fressen?

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