Die Nacht in der das Fürchten wohnt, hat auch die Sterne und den Mond.

Es war viel Betrieb am Bahnhof. Sie fühlte sich wohl an solchen Orten. Sie konnte in der Menge untergehen, fühlte sich so weniger ausgesetzt, weniger beobachtet. Sie ging nun schon seit einer Stunde ziellos umher, wartete ab und zu ein paar Minuten auf einem Bahnsteig, ging dann weiter, immer in Bewegung, nahm nie den selben Weg. Der Bahnhof war recht gross und es gab viele Möglichkeiten sich unauffällig zu bewegen. Niemand würde Verdacht schöpfen, sie war bloss eine Reisende, die ihren Zug erwischen musste, die etwas einkaufen wollte, die jemanden abholt, die auf jemanden wartet. Sie trug ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, hatte eine Sonnenbrille auf und ihr langer, grauer Mantel reichte bis zu ihren Knöcheln. Bloss ein Stadtmädchen, das ein Ziel hatte, das beschäftigt an einem Samstagvormittag seinen Besorgungen nachging.

Noch eine Stunde. Noch eine Stunde in der sie sich etwas entspannen konnte, ein Hauch von Normalität fühlte. Gerade war sie auf dem Weg zum Kiosk in der hintersten Ecke des Bahnhofs, um Zigaretten zu kaufen. Nicht, dass sie rauchte, aber ein Stadtmädchen könnte ja durchaus rauchen, es fühlte sich plausibel an. Sie hatte vor, danach vor den Bahnhof zu den Rauchern zu stehen. Plötzlich tauchte vor ihr aus dem Gewimmel ein Hund auf, ein Terrier, der seine Leine hinter sich herzog und im Zickzack den Beinen der Menschen auswich. Ohne nachzudenken, hob sie den Fuss und stand auf die Leine. Der Hund jaulte, wie erstarrt blieb sie stehen. Dann sah sie den Mann, der auf sie zu rannte, ganz ausser sich. Sie versuchte eine Entscheidung zu treffen. Einfach weitergehen? Das würde aber jetzt wohl mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ein paar Menschen waren stehengeblieben. Sie blieb also wie angewurzelt auf der Leine stehen, der Mann hatte sie nun erreicht, rief Dankesworte und den Namen des Hundes. Er beugte sich keuchend zum Hund, nahm die Leine, zog daran.
„Sie können jetzt loslassen, vielen Dank!“
Sie bewegte sich etwas zu hektisch, fast sprang sie weg von der Leine. Der Mann sah zu ihr auf mit Verwunderung im Ausdruck. Sie sah, dass er schöne Augen hatte, helle Augen.
Sie murmelte: „Keine Ursache, schönen Tag“ und wollte weitergehen, so als wäre sie etwas knapp in der Zeit, der Mann jedoch rief ihr hinterher, machte einen Satz und berührte sie am Arm. Sie zuckte zusammen.
„Vielen Dank! Das war sehr nett von Ihnen, sehr aufmerksam, Crystal ist eben noch jung, wenn man nicht aufpasst… Er reisst sich immer los… Vielen Dank, dass sie ihn aufgehalten haben!“
Er lachte und sah sie an. Sie versuchte so gelassen wie möglich zu wirken und lachte ebenfalls. Etwas zu künstlich, sie konnte aber nicht anders.
„Kein Problem, junge Hunde, müssen noch lernen, ist doch klar. Ich muss jetzt aber leider weiter, mein Zug…“
Er sah noch immer direkt in ihr Gesicht, sie war einmal mehr heilfroh, dass sie ihre Sonnenbrille aufgesetzt hatte. Crystal zerrte an der Leine und kläffte. Der Mann löste seinen Blick und sah zum Hund.
Sie drehte sich um, hob kurz die Hand, rief ein paar Abschiedsworte über ihre Schulter und ging dann in der Menge unter.

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