Angefangen hat alles gestern Abend. Als ich allein im Fahrenheit in Winterthur sass und darauf wartete die coole Clique zu treffen. Ich sass also da und las „Julietta“ von Louise de Vilmorin. (Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass dieser Moment, wo ich allein im Fahrenheit in Winterthur sass und „Julietta“ las, der einzige und letzte Moment der Sicherheit und Geborgenheit im engeren Sinne sein würde.) Ich sass also da – es war warm, ich sass gleich neben der Heizung – und erfreute mich der guten Lektüre:
„Alt? Nein. Zeit hängt nicht von Epochen ab, ich halte sie für eine rein persönliche Erfahrung, das erklärt auch die zuweilen unüberwindbare Distanz zwischen Menschen, die zur gleichen Zeit leben. Man bindet sich, doch es kommt selten zu einer echten Verbindung. Die Liebe feiert jede Hoffnung, jede Zukunftsplanung, jede ersehnte Annäherung; sie schafft eine Zeit für zwei, eine provisorische Zeit, die uns dauerhaft dünken soll, und wenn sie eines Tages vergeht, rückt alles wieder an seinen Platz, wir gewinnen das Gefühl von Perspektive zurück und sehen den anderen von unserem Standpunkt, von unserer Zeit aus, ein Anblick, der ungeachtet der Nähe oder des Abstands unsere Einsamkeit mehrt. Trotzdem glauben die Menschen, es genüge, mit einem anderen zusammenzuleben, um der Vereinzelung zu entkommen, und Streit oder Resignation ist ihnen lieber als Mangel an Gesellschaft. Unverstanden zu sein trägt in ihren Augen zu ihrer Erhabenheit bei und erlaubt ihnen, sich zu beklagen, was bekanntlich immer ein Vergnügen ist. Dennoch kommt es vor, dass Wesen aus benachbarten Zeiten einander begegnen…“
Man kann mir keine Naivität vorwerfen, denn ich wusste genau, worauf ich mich einliess. Ich verliess also die Wärme des Fahrenheits und setzte meinen Fuss auf die Strasse. Und entkam der Vereinzelung nicht. Ich sah ihr mitten ins Gesicht und versuchte mich mit Freundlichkeit zu wehren. Wie das aber so ist, wie es immer ist, weiss Freundlichkeit nichts entgegenzusetzen und ist kein adäquates Mittel. (Immerhin bleibt mir die Gewissheit eines reinen Herzens und mehr noch, die Gewissheit von nicht blutverschmierten Händen.) In der zweiten Heimat dann tauten meine Finger das erste Mal wieder auf, ich drückte meinen Rücken durch und begann zu atmen. Seltsam, wie die Luft riecht! Seltsam, wie sich Haut anfühlt, wie sich die Stadt gestaltet, wie neu alle Plätze und Orte sind, die ich seit 20 Jahren begehe!
Später, in der dritten Heimat, als Donnie D. und Häschen ein Streitgespräch führten und Badana von einer 2 auf eine 3 kletterte, machte ich mir ein Bild der zukünftigen Erwartung und blies den Staub von meiner Zunge.
Kurz und gut: Der König ist tot, lang lebe der König!