Manchmal träume ich schwer

Gestern hab ich einen guten Freund besucht, nennen wir ihn Gustavo. Gustavo ist Bildhauer und wohnt in einem Haus zwischen einer Schnellstrasse, einem Weizenfeld und einem Wald. Als ich da aus dem Auto gestiegen bin, fühlte ich mich in eine andere Welt versetzt. Da stehen Grabsteine gegen die Strasse hin und hinter dem Haus beginnt der Wald wo man Rehe sehen kann und der Fuchs täglich seine Runde dreht. Der Himmel ist weit und grau und der Wind zeichnet seltsame Formen ins Weizenfeld. In der Dämmerung hab ich mir die Steine angesehen und sie ehrfürchtig mit den Fingern berührt. Sie waren kalt und rochen nach Unendlichkeit.

Wir haben Wein getrunken und geraucht und wie stumme Zeugen erhoben sich Zypressen vor dem Fenster. Wenn ich gekonnt hätte, ich wäre dort geblieben – für immer. Ich hätte vorbeifahrende Lastwagen gezählt, mir Namen für die Wildtiere ausgedacht, ich hätt auf dem Dachboden gesessen und das Licht betrachtet, ich hätte mich neben die Steine gesetzt und eine Zigarette geraucht, ich hätte die Adern im Marmor mit den Adern meines Handrückens verglichen.
Ich konnte aber nicht bleiben. So wie ich noch nie bleiben konnte.

Manchmal träume ich schwer,
und dann denk‘ ich, es wär‘
Zeit zu bleiben und nun ganz was andres zu tun.
So vergeht Jahr um Jahr und es ist mir längst klar,
dass nichts bleibt, dass nichts bleibt wie es war.

Dass man mich kaum vermisst, schon nach Tagen vergisst,
wenn ich längst wieder anderswo bin,
stört und kümmert mich nicht. Vielleicht bleibt mein Gesicht
doch dem ein‘ oder andren im Sinn

Fragt mich einer, warum ich so bin, bleib‘ ich stumm,
denn die Antwort darauf fällt mir schwer.
Denn was neu ist wird alt und was gestern noch galt,
stimmt schon heut‘ oder morgen nicht mehr.

(Hannes Wader – „Heute hier morgen dort“)

Ein Gedanke zu “Manchmal träume ich schwer

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