Leben ist manchmal wie Autofahren. Man biegt irgendwann in die Autobahneinfahrt, erhöht das Tempo und bevor man zweimal gezwinkert hat, ist man mit 220 Sachen unterwegs. Die Landschaft flieht vorbei und die anderen Verkehrsteilnehmer wechseln eilig die Spur. Irgendwann – ich bin gerade einem Lastwagen haarscharf entkommen – dringt das eigene leise Flüstern in mein Ohr: „Langsamer. Langsamer. Bremsen. Tempo drosseln. Langsamer. Laaaaaaangsamer!“ So fühlt sich gerade mein Leben an und irgendwann in der Freitagnacht, ich ging gerade zum dritten Mal eilig die Langstrasse hoch, kam das Warnsignal in meinem Hirn an. Verdammt. Jetzt denk endlich mal nach. Stopp!
Jetzt, nach vielen Stunden Schlaf und zombieartigem Halbwachzustand, komme ich endlich dazu nachzudenken. Zuerst denke ich über die Aussage von Philip Roth im TagiMagi-Interview nach.
Auf die Frage „Unlängst ist ein Buch erschienen, dessen Autor mehr Realität in der Literatur forderte. Die Kraft der Literatur als Medium der Erfindung habe sich erschöpft. Damit sind Sie wohl nicht einverstanden.“, antwortet Philip Roth: „Ich erfinde die Realität. Das ist mein Beruf als Schriftsteller: das Konstruieren einer überzeugenden Realität aus Worten. Nicht aus dem, was ich sah, als ich neulich die Strasse herunterspazierte. Das tun nur Nicht-Schrifststeller. Die Literatur, das Reich der Erfindung, ist der einzige Ort auf der Welt, in dem wir einen anderen Menschen wirklich kennenlernen können. Im Leben ist das nicht möglich. Wir haben keinen blassen Schimmer vom Wesen anderer, selbst wenn es sich bei diesem anderen um unseren Zwilling handelt. Eheleute, Verwandte, Bekannte – sie wissen genug übereinander, um den Alltag miteinander zu bewältigen. Mehr nicht. Nicht, weil sie Geheimnisse voreinander hätten. Sondern weil wir uns schlicht nicht vorstellen können, was in unserem Gegenüber vorgeht. (…) Sie werden keine andere Frau auf der Welt besser kennen lernen als Madame Bovary. Keine Seele wird Ihnen vertrauter werden als die Anna Kareninas.“ Vielleicht sollte ich mich selbst erfinden, um mich besser kennenzulernen? Nun, ich schweife ab…
Es ist erschreckend. Mir wird klar, dass ich mich seit einigen Tagen fühle, als wäre ich nackt. Ist mir zuvor gar nicht aufgefallen. Kennst Du dieses nackt-in-einer-
Menge-stehen-Traumgefühl? Genau so. Scham also. Hinzu kommt ein Zustand der Unbeweglichkeit. Wie ein gestrandeter Wal. Völlig ausgeliefert. Hast Du gewusst, dass man gestrandete Wale, wenn man sie nicht ins Meer zurück bringen kann, tötet in dem man sie sprengt? Kurz hab ich mir überlegt, ob diese Methode auch bei mir angebracht wäre.
Aber wie hat Kästner gesagt?: „Je üppiger die Pläne blühen, um so verzwickter wird die Tat.“ Apropos Kästner: Mir ist aufgefallen, dass seine „Lyrische Hausapotheke“ unglaublich gern von unglücklich verliebten Männern verschenkt wird. Über das Warum würde es sich lohnen nachzudenken. Aber ich schweife schon wieder ab…
Die Frage ist ja: Was tun gegen das Nacktheits- und gestrandet-Gefühl? All die Pläne, in denen Dynamit oder Säure vorkommen, müssen verworfen werden. Übrig bleibt leider, leider nur gerade dies: Aufräumen. Loslassen. Und dann, nach all dem Aufräumen und Losgelassenhaben: Dem Monster ins Gesicht blicken. Und in den Augen des Monster spiegelt sich das andere Monster. Das dann ich wäre. Gruslig.