Berühre mich! Lass mich nicht kalt.

Krank sein ist echt so richtig doof. Ich hasse es, wenn mein Körper schwach ist und nicht das macht, was ich will. Ja, ich weiss, typisch Kontrollfreak. Und ich weiss auch, dass ich die Zähne zusammenbeissen und ausharren muss. In einem, vielleicht zwei Tagen ist es wieder gut. Das Fieber weg, die Kopfschmerzen verschwunden, vielleicht bleibt der Husten noch etwas länger, ziemlich sicher. Immerhin kann ich jetzt schlafen. Was ich geschlafen habe in letzter Zeit! Stunde um Stunde. Gestern den ganzen Tag, am Abend und dann auch noch die ganze Nacht. Wahnsinn. Zwischen den einzelnen Schlafattacken denke ich nach. Gestern hat sich irgendwann das Gefühl von „abrutschen“ oder „ins Leere greifen“ eingestellt. Kennst du das? Mir passiert es vor allem, wenn ich eine intensive Zeit hinter mir hab (habe ich) und dann plötzlich – gezwungen oder freiwillig (diesmal, wie meistens, gezwungen) – innehalten muss. Dann kommt es mir vor, als wär alles, was gerade eben noch ziemlich real war, verschwunden. So wie wenn man versucht nach Rauch zu greifen. Man sieht ihn. Fasst man aber rein, verflüchtigt er sich. Dann stellt sich dieses seltsam kalt-leere Gefühl in der Magengegend ein. Der Kopf versucht durch unmotivierte Drehbewegungen ein paar Stunden noch das Ganze wiederherzustellen. Das einzige, was hilft, ist meistens: Wegschieben. Drübergehen. Nicht nachdenken. Einfach mal warten. Der Rauch verfestigt sich dann schon wieder. Vielleicht in anderer Form, wer weiss.

Während ich also warte, dass erstens mein Körper wieder stark wird und zweitens sich mein Geist wieder festigt, denke ich über das Theaterstück nach, das ich letzte Woche gesehen habe. „Frollein Rache“ im Fabriktheater. Mal ganz abgesehen davon, dass ich mich nach dem Stück hätte an einem Dachbalken aufknüpfen mögen, fand ich ein ganz spezifischer Punkt sehr interessant. Am Anfang des Stücks wird angekündigt, dass sie das Publikum berühren möchten mit gängigen Mitteln. (Sympathische Hauptfigur, Ungerechtigkeit, Menschlichkeit, einem sehr unsympathischen Übeltäter, Kindsmord, Rache, einer behinderten Musikerin, etc.) Was sie dann auch tun.
Der eine Teil des Publikums liess sich – genau wegen der Ankündigung – nicht berühren.
„Es wurde ja angekündigt!“
„War ja alles nicht real!“
Der andere Teil liess sich trotz Ankündigung berühren.
Dieser Dreher finde ich sehr interessant. Grundsätzlich kann man ja sagen, dass jede Form von Fiktion, egal ob Theater, Film oder Literatur, immerimmer NICHT real ist. Das heisst, man müsste sich ja grundsätzlich nie berühren lassen dürfen, weil man ja immer wissen müsste, dass das gerade Dargebotene der Phantasie irgend eines Menschen entspringt. Macht man aber nicht. Man lässt sich berühren. Man heult, lacht, schluchzt, zittert. Das macht ja den Reiz von Unterhaltung aus. Wenn aber kurz vor Start angekündigt wird „Achtung! Wir wollen dich berühren! Und das tun wir mit ganz einfachen Mitteln!“, dann lässt es uns kalt? Weil wir nicht mögen, dass wir uns übertölpeln lassen? Weil wir von unserem Intellekt geleitet werden wollen und nicht von Emotionen, die auch noch so einfach hergestellt werden können?
Schlussendlich wissen wir genau, dass wir immer von unserer Emotion geleitet werden. Wir wissen auch, dass wir schnell und einfach verleitet werden können.
Drum – aus gegebenem Anlass: Berühre mich! Lass mich nicht kalt.

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