Schöne, stille, seltsame Tage

hello-brainBei unseren Nachbarn im Haus gegenüber hat es gebrannt. Ich war vorgestern mit N. was trinken, er hat mich ja via altmodischer Postkarte zum Treffen geladen. Ich habe meinen Hasenbommel, den ich an den Weihnachtsfeier verloren habe, zurückerhalten. Mit Häschen war ich mittags in unserer Lieblingsbar und hab Prosecco getrunken. Mein kleiner Neffe, er ist drei Jahre alt, war zu Besuch und hat aus dem Nichts zu mir gesagt: „Du schaffst das, Du schaffst alles!“.

Schöne, stille, seltsame Tage.

N. hat mir von seiner Reise nach Nepal und Japan erzählt. Wenn man jemanden schon so lange kennt, dann hört man ihm zu, sieht ihm dabei aber auch beim Sprechen zu. Ich habe mich gefragt, ob dieses kleine Verziehen seines Munds beim Sprechen schon immer da war oder ob das neu ist. Es ist heute irgendwie deutlicher. Als ich auf ihn wartete, habe ich mich gefragt, ob er sich sehr verändert hat. Und ich habe mir den negativen Fall, sowie auch den positiven Fall ausgedacht. Der positive Fall ist dann glücklicherweise eingetroffen. Wir haben uns dann auch über Vergangenes unterhalten, er hat mir unter anderem eine Geschichte erzählt, die er mir schon oft erzählt hat und die ich damals mit ihm miterlebt habe. Heute erzählt er die Geschichte völlig anders als früher und ich selbst erinnere mich anders an sie. Ich habe mich gefragt, ob meine Erinnerung falsch ist oder seine. Wahrscheinlich beide. Das ist schon seltsam mit der Erinnerung. Man legt sich ein Bisschen was zurecht. Anfänglich weiss man das, es klingt einfach besser, wenn man es mit anderen teilt. Dann glaubt man irgendwann daran, schiebt da noch was nach links und dort was nach rechts. Dann lässt man ein, zwei Sachen weg und fertig ist die erinnerte Wahrheit. Aber wahrscheinlich ist das ja auch gut so. Wir würden anders nicht überleben, glaube ich.

Seit den 1960er Jahren ist ausserdem bekannt, dass der blosse Akt einer Gedächtnisreaktivierung eine Erinnerung kurzzeitig anfällig oder «labil» macht. In diesem labilen Zustand ist eine Erinnerung für Störungen anfällig und wird dann unter Umständen in veränderter Form erneut abgespeichert.“ (Erinnerung ist manipulierbar, NZZ)

Es könnte also sein, dass sich die Erinnerung von N. alleine durch die erneute Erzählung bereits schon wieder verändert hat.

Ich habe zum Beispiel letzthin herausgefunden, dass eine Erinnerung, die ich habe und an die ich felsenfest geglaubt habe, völlig verkehrt ist. Ich habe immer behauptet, ich hätte den Silvester vom Jahr 1999 auf das Jahr 2000 mit meinem Vater verbracht. Durch Zufall hab ich darüber wieder mal nachgedacht und durch die Rekonstruktion von Jahreszahl, dem Ort, etc. dann gemerkt, dass es unmöglich sein kann. Das war lustig. Ich konnte es nicht fassen. Aber die Erinnerung ist ganz klar falsch. Natürlich (beziehungsweise: sehr wahrscheinlich) habe ich einen Silvester mit meinem Vater und einer willkürlich angesammelten Gruppe anderer Menschen in seltsam angespannter Stimmung verbracht. Aber nicht den Silvester 99. Wo ich den Silvester 99 verbracht habe, weiss ich nicht. Aber ich werde mir eine neue, abenteuerliche Geschichte ausdenken und diese dann als Erinnerung ablegen. Sogehtdas.

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