Ekle Gall und süsse Spezerei

Mein Homeoffice-Tisch hab ich so ausgerichtet, dass ich mein Bücherregal sehen kann. Was lustig ist, da ich immer, wenn ich in Telefonkonferenzen festhänge, die Bücher anschaue und immer mal wieder interessante Lektüre entdecke. Zudem habe ich viele Notizbücher im Regal, wo ich Geschichten wiederfinde, die ich mal angefangen habe zu schreiben. Die sind lustig zu lesen und manchmal recht unterhaltsam. Falls euch gerade langweilig ist, hier der Anfang einer Geschichte:

Ekle Gall und süsse Spezerei

Es gibt Namen, die mag man vom ersten Augenblick an, wenn man sie zum ersten Mal hört. Ich weiss, dass ich bereits als Kind fasziniert war vom Namen David. Menschen, die diesen Namen tragen, mag ich.

Wenn ich heute darüber nachdenke, jetzt wo ich all das weiss, möchte ich hysterisch lachen. Warum nur wurde ich nicht früher eingeweiht? Es war doch alles da, ich hätte bloss Zugang dazu erhalten sollen. Dieser Zugang wurde mir verwehrt.

Was bleibt, ist alles aufzuschreiben, damit jemand in Zukunft nicht dieses grosse Wunder, dieses unfassbare „Ding“ verschwendet. Damit nicht jemand den selben Fehler begeht, begehen muss.

Das Heft

Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Auch nicht an Seelenwanderung oder an Kristalle oder Aurafotografie. Weder an Geister noch an Horoskope. Jede Form der Esoterik oder religiöse Verstiegenheit ist mir fremd. Meine Familie besteht aus herrlich pragmatischen Menschen und ich hätte nie zu einer anderen Familie gehören wollen. Als meine Grosseltern kurz hintereinander starben, haben wir das Haus in grossem Einklang und ohne die üblichen Streitereien in Bezug auf Erbe und Wertgegenstände geräumt. Jeder konnte nehmen was er mochte und wenn zwei das Gleiche mochten, dann wurde gewürfelt. Da ich Bücher liebe, widmete ich mich intensiv der umfangreichen Büchersammlung meiner Grosseltern und nahm viele Bücher mit, so auch alle auffindbaren Handschriften wie Briefe und Hefte. Zu Hause fiel mir ein Heft auf, es war von Aussen relativ unscheinbar, die erste Seite jedoch weckte meine Neugier. Da stand:
„Love is a smoke made with the fume of sighs;
Being purged, a fire sparkling in lovers‘ eyes;
Being vexed, a sea nourished with lovers‘ tears;
What is it else? A madness most discreet,
A choking gall, and a preserving sweet.“

Ich kannte das Zitat sehr gut. Es war ein Zitat aus Romeo und Julia von Shakespeare. Das Spezielle daran war aber, dass das Zitat zu mir gehörte, wie die Faust aufs Auge oder wie der Magnet zum Eisen. Es begegnete mir ständig, verfolgte mich seit frühester Jugend. Ich las es überall, ich konnte es bereits mit 13 Jahren auswendig, obwohl ich damals eher schlecht Englisch sprach. Es tauchte immer und immer wieder auf. Mittlerweile konnte ich nicht mehr sagen, was zuerst war, das Zitat oder meine Aufmerksamkeit dafür. Da stand es also wieder. In einem Heft, das den Anschein machte, als wäre es alt, sehr alt. Ich blätterte darin und entdeckte eine Jahreszahl: 1916. Meine Grossmutter wurde 1922 geboren, mein Grossvater 1912. Es musste sich also um ein Heft aus der Generation meiner Urgrosseltern handeln. Warum also befand sich dieses Zitat auf der ersten Seite? Ich setzte mich mit einem Kaffee auf den Balkon an die Sonne und begann zu lesen. Schon lustig, wie profan die Momente sind, die unser Leben verändern.

„2. Juni 1916. Das ist die Aufzeichnung von Anny Wiederkehr, geboren am 1. November 1898. Ich habe heute David kennengelernt, wie vorbestimmt. Endlich. Wir trafen uns im Park, plötzlich stand er vor mir, mit dem Drachen seiner Nichte in der Hand, ich habe ihn sofort wiedererkannt. Er sah genau so aus, wie beschrieben. Stahlblaue Augen, blondes Haar, einen markanten Kiefer, Grübchen beim Lachen, gleich gross wie ich selbst, aber das wichtigste: Auf seinem Unterarm das Muttermahl. Deutlich wie gemalt. Das Sternbild Bärenhüter.“

Ich liess das Heft sinken, wie vom Donner gerührt. Ich konnte es nicht fassen. Anny Wiederkehr war meine Urgrossmutter. Und diese sogenannten Aufzeichnungen mussten wohl ein dummer Scherz sein. Mir wollte einfach nicht in den Kopf, wieso. Ich hatte nie jemandem in meiner Familie von David erzählt. Ich hatte ihn zwar sehr geliebt, wir waren aber nie offiziell zusammen. Weshalb sollte jemand ein Heft in eine der zahlreichen Bücherkisten auf dem Dachboden meiner Grosseltern verstecken, der von mir und meiner Liaison mit David wusste? Es wussten nur wenige Leute davon und niemand von denen hatte Zugang zum Haus meiner Grosseltern. Es machte alles keinen Sinn. Wenn dieses Heft also echt war, weshalb beschrieb meine Urgrossmutter einen Mann, dem ich x Jahre später erst begegnen sollte? „Mein“ David, an den ich mich in diesem Moment jäh erinnerte, hatte stahlblaue Augen, blonde Haare, war gleich gross wie ich selbst und das wichtigste: Auf seinem Unterarm befand sich ein Muttermahl, das exakt so aussah wie das Sternbild Bärenhüter…

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