Der Autor ist tot, lang lebe der Autor

(Prolog) Es hat Überwindung gekostet und grosse Mühe. Denn ich bin nicht mehr die, die ich mal war. Wie kann ich meinem früheren Ich, der früheren Autorin jemals gerecht werden? Habe ich das Recht, hier etwas zu schreiben? Würde die Autorin es mir erlauben? Ich weiss, dass die Autorin herzlich war und offen. Ich weiss, dass sie wohl verständnisvoll mit mir gewesen wäre. Da sie aber nicht mehr da ist, werde ich sie nicht fragen können, nicht mit ihr reden können. Mein heutiges, lahmendes, kümmerliches Ich wird auf sich allein gestellt sein. Es fühlt sich an, als wäre über Jahre ein Rohr verstopft gewesen. Und plötzlich fliesst das Wasser wieder. Es ist erstaunlich, erst wenn man zurückkehrt, erkennt man, wie sehr man alles vermisst hat. Wie sehr, wie sehr, wie sehr. Verdammt, ich habe grosses Glück, dass meine Krankheit endlich ihre Klauen gelockert hat. Deshalb, lieber Leser, übe Nachsicht. Ich bin noch wacklig auf den Beinen. Aber ich bin aufgetaucht aus der Flut. 

Am Freitag hab ich getanzt. Ich hatte ein Dauergrinsen auf dem Gesicht und habe mir die Seele aus dem Leib getanzt. Die Herzen sind mir zugeflogen, ich konnte es kaum fassen. Ein Mädchen, welches ich nur vom Sehen kenne, hat mir die schönste Liebeserklärung des Abends gemacht: Mein Glück sei spürbar, ich sei schön, jedoch nicht bloss äusserlich schön, es sei was Tiefes, Gerechtes und Süsses in mir, was sichtbar wird und sich auf meinem Gesicht auszubreiten scheint. Ein wahrhaft schönes Kompliment, welches dem Schatten, dem Spiegelbild in der Pfütze gilt.

Plötzlich wieder zu fühlen, plötzlich wieder Zugriff zur eigenen Kreativität zu haben, ist wahnsinnig schön, jedoch trifft es einen wie ein Schlag. Und da kommt auch die Trauer hoch über die verpassten Gelegenheiten und die Erinnerung an all die Menschen, von denen man sich nicht verabschiedet hat, die man nicht um Verzeihung gebeten hat, all die Momente, die verblasst, getrennt wie durch dünnes Papier, dahinvegetierten.

Aufgetaucht aus der Flut.

Als schiene sich Glück zu vervielfältigen, als würde sich aus sich selbst eine ganze versunkene Welt auftun, als hätte man die Lawine losgetreten und man fragt sich, warum man keinen Zugang dazu hatte, woher denn das alles jetzt kommen mag und dann hört man sich auf zu fragen und ist bis auf die Knochen, bis ins Mark, bis zum Mond und zurück, scheisse nochmal glücklich.

Aurevoir

Ich möchte Deinen Ton hören, morgens, wenn ich auf den Zug warte, abends an der Bushaltestelle oder aber, wenn – wie gestern – meine Freunde bei mir sind und ich während ich lache Dein Gesicht sehe. Ja, ich erinnere mich gut an diesen ersten Augenblick. Damals in der Arvenstube, wo Du mich angesehen hast mit dieser Wärme, die Dein Blick auszeichnet. Mir ist bewusst, dass Du der bist. Der, der für und von Begegnungen lebt. Der Welten auftut und sie wieder verschliesst. Der abhandenkommt und plötzlich auftaucht. Der spielend erobert und erobern lässt. Es ist mir bewusst, dass Du diese Sätze (solche wie: „Diese Begegnung ist nicht wie jede“) oft hörst und für Dich sind diese Begegnungen normal – natürlich immer mit dem Wissen um Unvergleichbarkeit jeder Begegnung. Und wenn Dein Gegenüber im so-was-ist-mir-noch-nie-passiert angekommen ist, bist Du schon Meilen weiter. Das alles weiss ich und wenn ich Dich beobachte, wie Du Dich unbeobachtet fühlst, wenn die Menschen nah bei Dir stehen, wenn Du sprichst und denkst und Hände schüttelst und sich ab und an ein Lächeln auf Deinem Gesicht ausbreitet, das immer auch die Augen erreicht, dann lache ich ein Bisschen in mich hinein. Da steht er also. In Deinem Stehen und Lächeln erreichst Du mein Herz und – was vielleicht aussergewöhnlicher ist – meine flatterhafte Seele.
„Es passt zu uns, exterritorial zu sein, zu schreiben, was man nicht schreibt, zu machen, was man nicht macht, diese Kühnheit, sie war noch unausgewickelt, immer unser Milieu, und nun stehen wir wieder mitten darin und leben. “

Sollte meine Stimme die ewigen Jagdgründe erreichen, dann möchte ich einzig dies übermitteln: Aus tiefstem Herzen und mit grosser Freude – Du sollst leben. Aurevoir!

Zur Erinnerung

Taming a sea horse

Jetzt, da die schrecklichen Meldungen täglich zunehmen und ich bei der Zeitungslektüre regelmäßig in Tränen ausbreche, so viel Gewalt, so viele Absurditäten, frage ich mich immer wieder wohin ich werde fliehen werden. Wohin wird es mich verschlagen, wenn sich die Schlinge zuziehen wird, wenn die Gewalt meine Heimat überzieht? Nach Peking? Nach Riad? Nach Qatar? Auf den Mond?

Natürlich, auch das ist bloß ein Gedankenspiel, eine Schwarzmalerei, befeuert von meinen schwierigen letzten drei Jahren, von denen ich mich viel langsamer erhole, als jemals geträumt. Immerhin, es scheint vorwärts zu gehen, jeden Tag nur ein Zehntelmillimeterchen, langsam sehe ich aber mir selbst wieder ähnlich. Zumindest dem Bild, welches ich von mir selbst im Kopf habe. (Die Möglichkeit, dass dieses noch weniger der Wahrheit entspricht, als meine momentane Realität, ist relativ groß.)

Und dann werde ich gewahr, dass es mich nur gibt, weil es die letzte tobende Katastrophe, welche die Weltbühne erschütterte, gegeben hat. Ohne zweiten Weltkrieg wäre ich nicht auf der Welt. Oder zumindest mit größter Wahrscheinlichkeit nicht. Gut, ich wäre wohl auch nicht auf der Welt, wenn die Tanzparty in diesem schicken Hotel damals samstags statt freitags stattgefunden hätte. 

Resultierend daraus – aus dem ganzen Leid und der persönlichen Qual – ergibt sich eine so immens große Dankbarkeit, dass es mir immer mal wieder den Atem aussetzt. Ich bin einfach wahnsinnig dankbar. Und versuche das alles so sehr zu genießen, ich könnte tagelang heulen, so sehr genieße ich. 

Gerade befinde ich mich auf dem Weg nach Innsbruck. Wofür, frage ich mich, könnte ich je dankbarer sein, als für diesen Moment, jetzt, da ich mich auf dem Weg nach Innsbruck befinde.

  
Ich glaub, irgendwann bleibt mir das Herz stehen, ab dieser Dankbarkeit. 

Masel tov!

Manchmal erwächst aus Leid etwas Schönes. Als hätte man ein kleine Flocke auf den staubtrockenen, vergifteten Boden geworfen und als wäre dann, plötzlich, ein Jahr später etwas daraus entstanden. Unmerklich, langsam. Durch die Erde gekämpft, hochgewachsen und dann erblüht. Man mag es mit Staunen und Zittern betrachten.

Ich sage nicht, dass ich die Zeit mit Größe und Gleichmut überstanden hätte. Das habe ich nicht.
Ich sage nicht, dass ich mit Zuversicht in die Zukunft blicke. Das tue ich nicht.
Ich behaupte nicht, dass ich meine Angst und meine Sorgen losgeworden bin – über Nacht. Das bin ich nicht.
Ich befinde mich nicht jetzt hier und sage: Endlich Licht! Das sage ich nicht.
Auch sehe ich nicht plötzlich die Schönheit wieder. Oh, nein, das tue ich nicht.
Trotzdem erkenne ich diesen Anflug von Verwunderung. Dieses ungläubige: Wirklich? Ist DARAUS etwas erwachsen? Wie kann das sein? Wie, zur Hölle, ist das möglich?

Alles kommt und alles geht. Oder in meinem Fall gerade: Alles geht und alles kommt. Masel tov!

Sonntags im Büro

Bed of Books

Bed of Books

Am Sonntag im Büro träumt man sich in andere Welten, möchte gerne überall lieber sein. Man träumt sich ins Bett zurück wo Träume wahr werden – lesend, denkend. Man träumt sich an einen Ort, der möglichst weit von sich selbst entfernt ist, weil das Selbst gerade Zähne zeigt und zu eng ist, wie Hosen, die nicht mehr passen, weil man sich über Monate von Osterhasen aus Schokolade ernährt hat, sich selbst belügend, es werde wohl keine Konsequenzen haben.

Wenn ich könnte, würde ich gerne eine Reise machen nach Argentinien. Zum Beispiel. In Buenos Aires direkt vom Flughafen in die „El Ateneo Grand Splendid“ fahren, dort Stunden verbringen, immer wieder zur Decke blicken und beim Anblick der Engel lächeln.

El Ateneo Grand Splendid in Buenos Aires

El Ateneo Grand Splendid in Buenos Aires

Wenn ich könnte, würde ich gern Ferien von mir selbst nehmen. Mich kurz verlassen. So, wie man Pflanzen bei einer Woche Urlaub zu Hause lässt, ihnen genügend Wasser gibt, die Läden zur Hälfte schliesst, dass sie nicht zu sehr der Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind und mit dem Wissen, dass sie noch genau so da sein werden, wenn man wiederkommt.

Sonntags ist das Büro ein Ort, wo Träume wahr werden können, weil sie Raum haben, sich zu entfalten, weil sie die Luft einnehmen und singend – einem Echo gleich – den Klang wieder- und wiedergeben. Sonntags aber ist das Büro auch ein Ort, wo man mit seinen Träumen das Zeitliche segnet, weil die Wirklichkeit keinen Platz hat, sich zu festigen und so tatsächlich obsolet wird.

Unangemeldeter Buchbesuch

Heute hab ich Krautreporter unterstützt, mir ein Jahresabo von „Hohe Luft“ besorgt und werde bald zum Kiosk tingeln und ein Exemplar von „Reportagen“ kaufen. Das ist also, wenn man Hunger hat. Hunger nach Geist und Barbarei, nach Anmut und Arabesken.

Gestern lag ein neues Buch bei mir im Briefkasten. Ich habe keine Ahnung mehr, wann und warum ich es bestellte. Es war da. Einfach so. Natürlich könnte es sein, dass es auch einfach entschieden hat, da zu sein. Bei mir. Ein Buch mit eigenem Kopf. Es heisst „Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra“ von Robin Sloan.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt am 20. März darüber:

„Eine gewiefte Parodie auf Fantasy-Abenteuer, eine amüsante Reportage aus der Welt der kalifornischen Tekkies, eine spitze Satire der Allmachtsphantasien von Google.“

Not bad, not bad. Thanks for dropping in, you’re very welcome.

So Long, and Thanks for All the Fish

Linde

Eine einsame Linde auf einem Hügel im Sommer mit Kühen.

Heute bin ich in einen eiskalten Brunnen gehüpft, um mich abzukühlen. Mit all meinen Kleidern an. Lustig war, dass ich eine weisse Leinenhose trug und der Heimweg dann bizz peinlich war. Jänu.

Meine Welt ist eine andere geworden. Wenn ich polemisch wäre, würde ich eine Aufzählung machen. In diesem Stil:
Ich hab eine Sucht aufgegeben, mein Job trieb mich in den Wahnsinn, mir wurde erneut eine Krankheit diagnostiziert und ich bin noch immer nicht frei von Angst. Diese korinthenkackig kleinkarierte Angst, die mich verstummen lässt und mir das Leben so grau schattiert, matt und neblig macht.

So mach ich also mit mir selbst einen Deal: Alle zwei bis drei Tage lass ich sie hinter mir, die Angst. Und hoffe, dass sich ab und an was in mein Blickfeld schiebt, das der Aufmerksamkeit würdig ist.

Heute zum Beispiel: Die Linden! Endlich liegt ihr süsser Duft in der Luft!

That tomorrow would be as yesterday

Ich habe gerade die Dokumentation „Searching for Sugar Man“ gesehen. Eine fantastisch wahre Geschichte über den amerikanischen Musiker Sixto Rodriguez, der in den USA keinen Erfolg hatte, jedoch aber in Südafrika ein Superstar war – ohne es zu wissen. Hör Dir „Lifestyles“ an und achte auf den Text. Ich bin neu auch Rodriguez-Fan.

„Night rains tap at my window
Winds of my thoughts passing by
She laughed when I tried to tell her
Hello only ends in goodbye“
(Rodriguez: Lifestyles)

Diese Zeilen passen sehr gut zu einem Karfreitag, nicht wahr? Vor allem zu einem regnerischen Karfreitag, der ganz unwiederbringlich was von „Hello only ends in goodbye“ hat.

goodbye

Buchstabe an Buchstabe

A ship in port is safe, but that's not what ships are built for.

A ship in port is safe, but that’s not what ships are built for.

Sich aufgrund von äusseren Umständen so unsäglich intensiv und lang mit seinem eigenen Arsch beschäftigen zu müssen, macht müde und sprachlos. Ich verlor für eine unerträglich lange Zeit meine Fähigkeit zu schreiben. Das ist wie wenn ein Fischer an Land bleiben muss, weil das Geld fehlt, um sein Schiff zu reparieren. Er muss sich also mit Botendiensten über Wasser halten. Ihm fehlt das Meer. Ihm fehlt die Sonne, der Sturm, die Nacht, die hinter dem Horizont auftaucht und das Ende seines Arbeitstages verkündet.

Ich war also ein Fischer ohne Schiff. Meiner Fähigkeit mich auszudrücken beraubt. Du glaubst nicht, wie langweilig das ist! Wie gefangen man sich fühlt! Das eine ergibt das andere und ehe man es sich versieht, ist man depressiv, ohne Lebensinhalt und führ ein gänzlich uninteressantes Leben. Da versteht man plötzlich auch die Menschen, die ihr Mittagessen auf Facebook posten. Aufregenderes gibt der Tag nicht her.

Nun denn. Ich habe viel gelernt. Oft Angst gehabt. War täglich traurig. Nun aber fühle ich die Kraft zurückkehren. Die Stärke. Mein Körper bewegt sich wieder und damit auch mein Geist. Frühlingserwachen!

Und zögerlich reihe ich Buchstabe an Buchstabe. Auf dass es diesmal gut gehen möge!

PS: Ich hoffe, all meine Freunde mögen mir meine Sprachlosigkeit verzeihen. Mein Schweigen.
Die Nacht war lang.

Mirakulöse Orte

Es gibt mirakulöse Orte auf der Welt, zu denen ich nie gereist bin. Ich habe sie nie gesehen, hab nicht mal Bilder gesucht, um zu sehen, wie es da wirklich aussieht. Trotzdem kenne ich sie ganz genau. Ich kenne Strassennamen, Plätze und weiss, wie es da riecht. Diese Orte kenne ich aus der Literatur und fühle mich ihnen sehr verbunden. Lese ich einen solchen Ortsnamen, erinnere ich mich an all die wundervollen Stunden – mit einem bisschen Wehmut – die ich dort verbracht habe. Zum Beispiel Teheran. Ich las von einem Teheran, das weltoffen war. Teheran fühlt sich wie Heimat an. Ich las über Kindheiten in Teheran und ich bin mir sicher, dass es einer der besten Orte auf der Welt ist, um aufgewachsen zu sein. Oder Santiago de Chile. Ich habe eine innere Strassenkarte von Santiago in meinem Kopf. Ich kenne Statuen und Plätze und weiss, dass Santiago – gefährlich und unergründbar – ein wahnsinnig schöner Ort ist, um jung zu sein. Zudem Budapest. Budapest trage ich an trüben Tagen in mir und weiss, dass es einen Ort gibt, der es mir gleichtut. Oder aber die Karpaten. Die Wälder der Karpaten, die sich über verschiedene Länder erstrecken und Platz bieten für ein ganzes Dasein, ein in sich gekehrtes Dasein – im Streit mit sich selbst verbunden.

Dahingehend ist die Literatur ein Schatz. Sie bietet mir neben meiner realen, erlebten Welt die Möglichkeit noch weitere Orte in mir zu tragen, deren Bilder nicht minder real sind. Du fragst mich, wie Santiago riecht? Ein Bisschen nach steinischer Kühle, nach Abgas, nach moderndem Verfall, nach seidiger Hitze, nach fettigem Haar.

Mir ging es immer so: Habe ich ein Buch über einen Ort gelesen, der mir aus irgendeinem Grund ans Herz gewachsen ist, suche ich weitere Bücher von diesem Ort, um mein Bild zu vervollständigen, um den Ort besser kennenzulernen. Es geht mir weniger um die Geschichte selbst, es geht mir um den Ort. Und erkenne ich Strassen und Gebäude wieder, lächle ich freudig, als ob ich einen Roman über meine reale Heimatstadt lesen würde.

Und falls ihr lesen wollt, denn lesen macht glücklich, hier je ein Beispiel: