Alles wird gut, Kleines

Ich mag solche Nächte, die sich anfühlen wie eine gelebte Woche. Wenn man durch die Dunkelheit geht und einem die Sterne ihr Muster in den Rücken brennen – unbemerkt. Ich mag den Tag, wie er aufgeht, nach einer verlebten Nacht. Wenn alles dem neuen Tag weicht und man weiss: Es ist noch nicht vorbei. Ich hab eine Begabung für Nächte. Der Trennungsschmerz zwischen mir und eben einer solchen Nacht, ist unangenehm aber leider nicht vermeidbar. Würden wir den Schmerz scheuen, würden wir die Nacht niemals geniessen können. Mir ist schwindlig. Denn nach der Nacht (und es ist kein Zufall, dass ich gerade in dieser Nacht so losgelassen habe) kommt der Tag. Der andere Tag. Der, der nicht aufgeht. Sondern der, der da ist. Plötzlich. Hell und gleissend. Der einem mitreisst, vor dem man sich nicht verstecken kann. Eigentlich würde ich ja gern nicht hingehen, morgen. Ich würde mich in Dunkelheit flüchten wollen und in Unwissenheit. Weggehen, nicht wiederkommen, nichts wissen, nichts wollen, kein guter Mensch sein. Aber etwas in mir drin verbietet es mir. Etwas in mir drin weiss, dass ich werde hingehen müssen, dass ich all das Bauchweh und die Nervosität werde aushalten müssen. Dass ich mich an der Erinnerung an die Dunkelheit festhalten werde, um den leuchtenden Tag zu überstehen.  Auch so kann es sein. Dass der Schatten nicht der Angstauslöser ist, sondern das Licht. Hinaustreten, Verantwortung übernehmen. Gar nicht mal so einfach.

In diesen Momenten – zum Glück kommen sie selten vor – habe ich Sehnsucht nach zwei Armen, die mich umschlingen. Nach einer gigantischen Bettdecke, die zwischen meinem Kopf und der Welt für Jahre zum liegen kommt. Dann hab ich Sehnsucht nach einer tiefen Männerstimme, die sagt: „Alles wird gut, Kleines, alles wird gut.“

Raus!

Eigentlich wäre ich ja jetzt in Berlin. Bin ich aber nicht. Voller Überraschungen, das Leben. Und ich nehme es, wie es genommen werden will. (Hihi. Das klingt jetzt ziemlich anzüglich. Na, egal.)

Letzthin wurde ich gefragt, wohin man in Zürich so gehen kann. Das werde ich immer mal wieder gefragt. Und finde die Frage ziemlich schwierig. Weil in dem Moment wo ich gefragt werde, fällt mir partout nix ein. Darum hier meine Zürich-Lieblings-Liste. (Natürlich niemals abschliessend, denn mir fällt auch jetzt nicht alles ein.)

  • Café Bar Plüsch (Da arbeiten meine grossartigen Freundinnen und es ist schon darum einen Besuch wert. Im Plüsch hab ich schon ganze Nächte verbracht. Redend, lachend, mit mir im Reinen.)
  • Berta Bar (Sehr süss. Und der Ida-Platz ist sowieso ein zauberhafter Platz. Und von der Berta Bar kann man direkt ins Calvados und von da direttissima in die Schlaufe. Was mich auf den nächsten Ort bringt:)
  • Meyers (Ins Meyers geht man immer am Schluss. Nach dem schlimmen Date, nach der Party, nach der Bar XY, nach dem „gemütlichen“ Treffen mit den Nachbarn, nach Allem. Im Meyers gibts Toast und Trost. Und ganz nebenbei lernt man nette Bündner kennen.)
  • Nordbrückli (Da arbeiten meine anderen grossartigen Freundinnen. Und der Raucherraum ist sehr gemütlich. Bei schönem Wetter kann man draussen sitzen und auf die Bahngleise schauen. Im Nordbrückli hab ich schon Vorstellungsgespräche geführt, bin von Frauen geküsst worden, hab zu tief ins Glas geschaut.)
  • Kern (Einfach gut. Dann, wenn man keine Lust auf das ganze Züzi-Zeugs hat.)
  • Mars Bar (Die Mars Bar, das alte Luder. Kann einem in den Arsch treten und im nächsten Moment die schönste Liebeserklärung ever machen. Man sollte sich also in Acht nehmen.)
  • Helsinki (Besser nicht am Wochenende gehen. Besser Sonntags oder Donnerstags. Dies gilt wohl aber für alle Orte in Zürich. Ansonten: Im Helsinki fühlt man sich eigentlich immer wohl. Und wenn man sich kurz mal nicht wohl fühlt: Einfach nach draussen gehen, unters Vordach sitzen, eine Zigarette rauchen und das schöne Schiff vom Bogen 33 anstarren. Der Helskinki Klub ist meine zweite Heimat.)
  • Gonzo (Lässt sich so beschreiben: Schattenreiche Zwischenwelt. Aber überraschenderweise eigentlich immer gut.)
  • La Catrina (Klein aber fein. Haben oft Konzerte und meist sympathisches Publikum. Im La Catrina hab ich alte Freunde getroffen, eine Eifersuchtsattacke überstanden, sehr gelacht und gute Gespräche geführt.)
  • Aufm Kies (Vor allem im Sommer. Im Kino Xenix spielen sie immer sehenswerte Filme. Aufm Kies war alles schon da. Von Liebe über Abneigung, bis hin zu grosser Langeweile. Das Kies ist ein Spiegel.)
  • Ziegel (Die Beiz der Roten Fabrik. Am See und sehr gemütlich. Feines und günstiges Essen. Halt so richtig Hippie-mässig.)
  • Les Halles (Da geh ich hin, wenn ich Moules et frites essen möchte. Im Les Halles hab ich schon das Flaschenspiel mit Fremden gespielt, bin auf dem Sofa verhockt, hab wilde Feste gefeiert und draussen dem Regen beim Fallen zugesehen.)
  • El Lokal (Im El Lokal hab ich Hochzeitsfeiern miterlebt, hab Fussball geschaut, bin draussen an der Shil gesessen, hab Geburtstag gefeiert, Konzerte genossen, bin sehr glücklich gewesen.)
  • Moods (Im Moods hab ich mal ein grandiose Balkan-Party erlebt. Was hab ich getanzt! Und Konzerte hab ich da schon genossen – wahnsinn. Im Moods ist es warm. Da dringt die Welten-Kälte selten ein.)
  • Meine Lieblingsorte, um zu Essen sind: Volkshaus, Restaurant Bürgli, Gartenhof und Kobal Curry & Café.
  • Und zuletzt: Fürs zweite Date empfehle ich als Treffpunkt dringend den Lindenhof. Dort kann man über die Stadt gucken, sich über Touristen lustig machen oder aber auf den Schaukeln sitzen und Zirkuspferden lustige Kunststücke beibringen.)

Zürich ist eine grossartige Stadt. Auch wenn die übrigen Schweizer immer das Gegenteil behaupten. Es braucht ein paar Tage, bis man sich wohl fühlt. Fühlt man sich aber wohl, ist es die beste Heimat, die man haben kann. Das, was den Zürchern fehlt, ist einzig ein Bisschen mehr Distanz zu sich selbst. Übrigens etwas, was jedem gut tun würde.

Der Wind des Wandels, der durch böhmische Dörfer weht

Böhmisches Dorf?

Böhmisches Dorf?

Man sollte wissen, worin der Unterschied liegt. Der Unterschied zwischen wachen und lesen. Zwischen schlafen und träumen. Zwischen leben und überlebt zu haben. Dies sind harte Tage. Aber auch gute. Es gibt sie immer, die Kehrseite. Da steht ein böhmisches Dorf mit farbigen Häusern und Eingängen und Ausgängen und einer Strasse, beabsichtigt unspektakulär grau gehalten. Und tritt man dann hinter die Häuser, hinter die Kulisse, dann ist da blosses Holz und Metall und vielleicht liegt da eine Coladose, verloren, hingeworfen. Man sieht den Hund, der an der verbarrikadierten Nicht-Hintertür schnüffelt und dann desinteressiert von Dannen zieht. Man sollte wissen, worin der Unterschied liegt. Und manchmal ist hinter den Kulissen das wahre Leben.

Heute sass ich im McClean (was für ein grandios doofer Name)  im Hauptbahnhof am Schminktisch und sah den Mädchen zu, wie sie sich anmalten (denn auch ich malte mich an) und sich die Haare machten und über all die Hinter-Kulissen-Dinge redeten. Es war ein grandioses Bild. So ein Bild, das man nie verlieren, so eins, wo man ewig drin sitzen möchte und lauschen. Ich stellte mir vor, wie all die Mädchen raus gehen, an ihre jeweilig lächerlichen Bestimmungsorte, wie sie lachen und den Kopf schief legen und die Hüften im Rhythmus bewegen und dachte: Ja. Ja. Ja. So war das also damals und so ist das heute. Und jetzt, wo ich zu Hause bin und meine Aufmerksamkeit leider nicht bis nach zwei Uhr nachts gereicht hat, weil es eine harte Zeit ist, frage ich mich, wann sich meine Hüften im Rhythmus bewegen und wann ich den Kopf schief lege und wann ich meine Augen schliesse, in Erwartung eines Kusses. Man weiss es nie. Und dennoch: Ich habe mich in den letzten zwei Monaten so sehr verändert, dass ich Menschen begegne, die mich nicht wiedererkennen. Ich gehe auf sie zu und sage: Hallo! Und sie sehen mich konsterniert an und sagen: Hallo, ich bin Katja. Und ich überlege kurz, ob ich den Sachverhalt aufklären soll, bin dann aber zu müde und tue so, als wäre dies unsere erste Begegnung. Seltsam. Aber auch gut. Gut, bin ich nicht auf der Türschwelle stehen geblieben.

Was ich nicht mag:

Eine Liste „Was ich mag“ hab ich ja mal erstellt. Und die stimmt auch heute noch ziemlich. (Vielleicht würden heute noch zwei zusätzliche Dinge dazukommen. Etwa so: 1. Filme machen, 2. Wassermelone zum Frühstück essen und sich dabei das Shirt versauen.) Nun also – mit Spannung erwartet – die Liste „Was ich nicht mag“:

  • Solche Schlagzeilen in unterbelichteten Gratiszeitungen: „Schweizer jubeln auf Albanisch. Dürfen die das?“ (Ist übrigens die Schlagzeile von heute. Ich könnt gleich kotzen.)
  • Sowieso jede Form von Polemik, Agitation und Hetze.
  • Innereien.
  • Mutlosigkeit.
  • Kalter Nieselregen.
  • Stupide Arbeiten.
  • Humorlosigkeit, Unhöflichkeit und Fahrigkeit eines Gegenübers.
  • An stark befahrenen Strassen langgehen müssen.
  • Sowieso Lärm.
  • Dinge und Menschen aufgrund von Äusserlichkeiten ver- und beurteilen. Und damit meine ich jede Form von Äusserlichkeit.
  • Falsch verwendete Bilder oder Redewendungen. So Sachen wie: „Es regnet wie am Spiess.“ oder „Das schlägt dem Fass die Krone aus.“
  • (Vor-)Verurteilt zu werden.
  • Fehlende Offenheit in Liebesdingen. Ich frage mich: Warum haben die Menschen immer, immer, immer so Angst ihr Gesicht zu verlieren? Es bricht einem doch keinen Zacken aus der Krone, wenn man zugibt, dass man jemanden mag. Und wenn der andere einem dann halt nicht so mag: Egal. Das Leben geht weiter. Ist doch nur halb so schlimm. Passiert doch dauernd. Herrgottsakra.
  • Mein Weckklingelton.
  • Spinnen.
  • Keine Milch im Kühlschrank haben.
  • Schlüssel, Schirme, Ringe, etc. verlieren.
  • Fehlende Distanz zu sich selbst.
  • Liebeskranke, die überraschend vor meiner Haustüre stehen.
  • Schlecht gelaunt zu sein.
  • Wenn gute Bücher enden.
  • Mein Spiegelbild nicht zu mögen.
  • Erkältungen.
  • Meine Ungeduld.
  • Die Angst vor der Angst.
  • Die Zahnbürste und Zahnpastatube im gleichen Becher.
  • Übertriebene Antiraucher.
  • Zu viel gegessen zu haben.
  • Orchideen (die find ich irgendwie gruselig).
  • Langgezogene Gesichter.
  • Dinge, die nicht mit Witz gebrochen werden.
  • Schlangen (die im Supermarkt).
  • Belästigt werden. Sowieso Menschen, die zu Nahe kommen.
  • Langeweile. (Und ich langweile mich schnell. Zum Glück kann ich mich ziemlich gut selbst unterhalten.)
  • Zappeligkeit, in mich reinfallen, Zombiemodus.
  • Zuckersäcklisprüche.
  • Seeeeeehr betrunken sein.
  • Schlechte Musik.
  • Telefonieren.
  • Sich auf Kosten anderer zu heben. (Sowieso: Sich durch Negation zu definieren.)
  • Mein unordentliches Zimmer.
  • Die Steuererklärung machen.
  • Schweissgeruch. (Vor allem dieser alte Schweiss. Wo man glaubt, dass jemand seit Wochen nicht mehr geduscht hat.)
  • Die Bücher von Paulo Coelho.
  • Lange keinen Sport treiben.
  • Alle Süssspeisen, die nicht zu 80% aus Schokolade bestehen.
  • Dass ich die Kommaregeln nicht beherrsche.
  • Spitäler.
  • Füsse.
  • Gin.
  • Mich nicht fühlen.
  • Mich fühlen.

Sozusagen grundlos vergnügt

Letzthin habe ich zu jemandem gesagt (und da ich viel zu vielen gesagt habe, mag ich mich nicht recht erinnern, welche Situation es war und wen ich gegenüber hatte – ich mag mich aber an die Bewegung erinnern, an die Reaktion des Gegenübers, an den Himmel, an mein Gefühl): „Weisst du, ich habe eine Begabung fürs Glücklichsein.“

Das ist schon so, keine Ahnung woher das kommt, die Dankbarkeit darüber ist aber stark: Ich bin oft, jeden Tag mehrmals sozusagen grundlos vergnügt. Ich freue mich. So richtig. So, dass es mir die Tränen in die Augen treibt und ich breit grinsend um die Häuser zieh. Habe mich schon gefragt, ob das wohl ein Defekt ist oder eine Krankheit. Weil: Es ist schon ziemlich seltsam. Es gibt immer Dinge, die Scheisse laufen. Auch ich habe Sorgen und morgens aufzustehen (vor allem, wenn gerade Montag ist), fällt mir schwer. Dann aber – von einer Sekunde auf die andere – blinzle ich in den neuen Tag, lache in mich hinein und freue mich. Einfach so. Diese Fähigkeit zum Glück hat mir schon wahnsinnig oft den Arsch gerettet, das kannst du mir glauben. Denn wenn man so lebt wie ich, immer ein Bisschen am Abgrund, immer ein Bisschen zu schnell, dann ist es von grosser Wichtigkeit, dass man ab und zu auch mal drüberweg gehen kann. Nicht so schlimm, alles gut. Mascha Kaléko kommt mir dann jeweils in den Sinn:

Sozusagen grundlos vergnügt

Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen
Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,
Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.
Dass Amseln flöten und dass Immen summen,
Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen.
Dass rote Luftballons ins Blaue steigen.
Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen.

Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht
Und dass die Sonne täglich neu aufgeht.
Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem, dass ich bin.

In mir ist alles aufgeräumt und heiter:
Die Diele blitzt, das Feuer ist geschürt.
An solchen Tagen erklettert man die Leiter,
Die von der Erde in den Himmel führt.
Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
– Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.
Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne
Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.
Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu!

Ich freu mich, dass ich … Dass ich mich freu.

Der Schlampir in mir

Nun gut. Soweitsogutalso. Ich bin heute sehr erleichtert und glücklich. Und auch nachdenklich. Ich hatte ein sehr gutes Gespräch mit Badana und ich bin mir nicht ganz sicher, ob da nicht etwas in mir steckt, dass nicht mehr viel mit der menschlichen Natur zu tun hat (oder eben vielleicht gerade viel mit eben dieser zu tun hat). So ein Vampir oder Tier oder böses Killerpuppending. Wenn ich dieses Ding deutlich spüre, bekomme ich Angst vor mir selber. Was, wenn es ausbricht, wenn ich es nicht mehr unter Kontrolle habe, wenn es durch die Städte zieht und nur Schutt und Asche hinterlässt? Dann steigt in mir grosser Zweifel auf, ob ich das überhaupt jemals hinbekomme, das mit der Nähe. Ob das nicht gefährlich ist für die Menschen, die ich doch am meisten liebe. Ob ich das überhaupt geniessen darf. Oder vielleicht doch lieber in eine Geröllhütte auf dem Finsteraarhorn umziehen soll.

Gestern hab ich in so einer schrecklichen Gratiszeitung einen „Artikel“ über die Trennung von Kristen Stewart und Robert Pattinson gelesen. Da wurde Kristen Stewart als „Schlampir“ bezeichnet. Das Wort ist schrecklich. Und auch unglaublich lustig. Und dann wieder sehr schrecklich. Vor allem, weil das so ein Medienwort ist, so eins, dass diese Killerpuppen-Seite in uns bedient. (Diese eben allzu menschliche Seite, die wir gerne als unmenschlich bezeichnen.)

Da sitze ich also an meinem Küchentisch und habe sturmfrei und geniesse die Ruhe (weil Ruhe in letzter Zeit ziemlich rar war) und fahre mir durch meine kurzen Haare und bin noch immer erstaunt, dass sie kurz sind und versuche über alles nachzudenken, was mir noch nicht richtig gelingen mag, weil es noch zu chaotisch ist in meinem Kopf. Irgendwie weiss ich, hoffe ich, dass alles gut wird.

„Mensch: ein Lebewesen, so angetan von Illusionen über sich, dass es völlig vergisst, was es eigentlich sein sollte.“
(Ambrose Bierce)

„Eines Tages wird man offiziell zugeben müssen, dass das, was wir Wirklichkeit getauft haben, eine noch größere Illusion ist als die Welt des Traumes.“
(Salvador Dali)

Abhanden

Gerade sitze ich auf einem Kranlaster im Tiergarten (ein Hexenhügel in Mels) und drehe einen Film. Es ist der vierte Drehtag. Die blaue Stunde ist bald zu Ende, der Tag neigt sich dem Ende zu. Mein Fuss schmerzt wie die Hölle, ich versuch es zu ignorieren. Jelisa sagt: dieser Ort ist wunderschön, aber unendlich laut. Sie hat Recht, man hört das stetige Rauschen der Autobahn. So müde wie jetzt, war ich schon lang nicht mehr. Diese Tage waren so sehr anstrengend, so auslaugend, so zehrend und so gut. Dieser Film wird der Hammer. Und ich werde die nächsten Tage keine Anrufe entgegen nehmen, keine SMS beantworten, keine Mail lesen – gar nichts. Ich werde lediglich arbeiten, schlafen, essen und atmen. Wenn man so zittert und am Rande lebt, wenn man versucht die Nerven gerade nicht zu verlieren – gerade noch nicht, gerade noch nicht – versteht man plötzlich viel vom Leben. Man blendet alles Unwichtige aus, redet langsam und deutlich, immer achtsam, dass man nicht ausfällig oder zickig wird, die Gefühle schneller, so schnell, dass sie verloren gehen. Clin d’oeil. Nur einen Augenblick. Vorbei. Vorüber. Und dann denkt man so, zwischen warten und rennen, „jänu“. Und dann geht man einfach weiter. Die Energie reicht dann einfach nicht mehr aus, um sich umzudrehen und zurückzublicken.

Im Karner

*ächz* So ein Film zu drehen, ist echt ne organisatorische Meisterleistung. Wir sind seit Tagen daran, vier Drehtage zu planen und das hat es in sich. Ich bin also gestresst, weiss nicht mehr wo oben und unten ist und ausserdem gehe ich an Krücken. Ich bin aus einem Bus gefallen. Haha.
(Und dank des Stresses muss ich nicht über den heutigen Tag nachdenken. Das ist wunderbar.)

Dann war ich in der Toskana – welch wunderschönes Fleckchen Erde. Wir haben mit den Schauspielern geprobt und das war ganz grosse Klasse.

Und sonst treibt mich das Unerwartete um. „Es geschieht zu jeder Zeit etwas Unerwartetes – unter anderem ist auch deshalb das Leben so interessant.“ (Ebner-Eschenbach)

Achach: Ich lese „Eine Messe für die Stadt Arras“ von Andrzej Szczypiorski. Und zitiere: „Und was vielleicht das Merkwürdigste daran ist: Jeder Bürger in Arras hielt damals eine gescheite Erklärung für die eigene Metamorphose bereit. Ich glaube, nie zuvor hat der Verstand derartige Triumphe gefeiert wie in jenen Tagen des allgemeinen Werteverfalls.“

So ist das mit Metamorphosen – mit guten wie mit schlechten: Man kann lange darüber palavern. Über den Kern werden wir uns – wenn überhaupt – wohl immer erst einige Jahre danach bewusst. Ich sage mir – jetzt da ich im Schneckentempo herumkrücke, hab ich ja genug Zeit, um mir dies und das zu sagen: So lange meine Augen leuchten, so lang da der Funke nicht erlischt, wird alles gut werden.

U male se scharlachrot a

Scharlachrot“ von Patent Ochsner höre ich immer mal wieder gern zwischendurch. Heute gerade auch. Ein seltsames Wochende. Mit einigen Fugenmomenten. Habe viel geredet, lange Gespräche im Regen geführt, fuhr ins Appenzell, nach Basel, hatte kalt und dann wieder warm und der Hunger hielt sich in Grenzen. Gestern Abend dann eine sehr entspannte Begegnung, die mich Lächeln gemacht hat, weil sie eine unaufgeregte Klarheit in sich trug.

Glück ist wirklich was seltsames. Habe gerade wieder eine Glücksphase. Bin unglaublich wahnsinnig glücklich. Dauernd. Und das ohne speziellen Grund. Dann tanze ich in der Küche, morgens um 6, lächle im Zug vor mich hin, könnte weinen, habe Angst, dass es vorbei geht. (Denn ich weiss, es geht vorbei und kommt wieder und geht vorbei und kommt wieder und geht vorbei… Du weisst, worauf ich hinaus will.) Es ist schon ein extrem grosser Luxus, wenn man sich sein Leben so gestalten kann, wie man möchte. Wenn man jede erdenkliche Freiheit hat, wenn sich seine Sorgen auf die Steuererklärung und unerledigte Aufgaben beschränken. Natürlich: Wenn man sich Ziele gesteckt hat, ist es oft ein Kampf, diese zu erreichen und wirklich nicht immer ganz leicht. Aber trotzdem: Pipifax.

Man sollte sich seine Tage mit Phantasie gestalten.