Knarren und Klemmen

Jeden Tag komme ich nach Hause und hänge mein Sportzeug auf die Wäscheleine. (Einzige Ausnahmen sind der Donnerstag und der Sonntag – an diesen beiden Tagen treibe ich keinen Sport.) Es ist seltsam plötzlich sportsüchtig zu sein. Am Anfang war es hart und hat keinen Spass gemacht. Jetzt aber zähle ich fast schon die Stunden, bis ich wieder in Bewegung sein darf. Es ist, als ob das der einzige Weg wäre, um mich selbst fühlen zu können. Den Körper schinden, um zur Seele durchzudringen. Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch viel simpler.

Morgen gehe ich „Faustrecht der Freiheit“ im Theater am Neumarkt schauen. Eine Adaption von Rainer Werner Fassbinders Film. Fassbinder sagt: „Bei mir geht es um die Ausbeutbarkeit von Gefühlen, von wem auch immer sie ausgebeutet werden. Das endet nie. Das kannst du in immer neuen Variationen erzählen.”

Vielleicht könnte ich euch auch von der Ausbeutbarkeit der Gefühle erzählen. Oder von einer Variation davon. Aber wie so oft rede ich nicht. Wenn man mich so ein Bisschen kennt, würde man sich das wohl nicht träumen lassen, dass ich so gut schweigen kann. Gute Freunde wissen wohl um meine Sprachlosigkeit. Aber schliesslich: „Freundschaft ist eine Tür zwischen zwei Menschen. Sie kann manchmal knarren, sie kann klemmen, aber sie ist nie verschlossen.“ (Balthasar Gracián y Morales)

Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist

Jess Jochimsen: Was sollen die Leute denken

Jess Jochimsen: Was sollen die Leute denken

Ich war gestern mal wieder – zusammen mit der fantastischen Suelo – Jess Jochimsen schauen. Er trat zusammen mit Sascha Bendiks im Kreuz in Jona auf. Wir fuhren also in die Provinz, um Gutes zu geniessen. Mal ganz abgesehen davon, dass Jess mich unverhofft ins Stück integrierte, war der Abend wie immer sehr angenehm und unterhaltsam.
Einer der Sätze, den ich sehr mag: „Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist.“ (Übrigens auch ein Buchtitel von Selim Özdogan.)

Zum Schluss bekam ich Jess neustes Buch geschenkt, welches ich sehr empfehlen kann: „Was sollen die Leute denken

Was die Leute denken, war mir dann auch ziemlich egal und nachdem wir einige Gläser getrunken hatten, machten wir uns auf in die Kälte. Suelo sagte, dass ihr das Programm von Jess & Sascha sehr gefallen hätte, weil die Texte, Bilder und Musik einerseits sehr melancholisch, trotzdem liebevoll und tiefgründig, aber auch bissig seien. Ich gebe ihr in allen Punkten Recht.

PS: Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr gross.

Ceci n’est pas une pipe.

René Magritte: Ceci n'est pas une pipe

René Magritte: Ceci n'est pas une pipe

Es ist minus dreizehn Grad in Zürich. Arschkalt. Diese Temperaturen erinnern mich an den Januar 2009. Damals habe ich ein Gedicht geschrieben:

Minus zehn Grad

Gleichmütig blicken die Abendlichter
mir entgegen durchs blasse Glas.
Der Zug fährt. Ich stehe still.

Jetzt, da ich dich offen trage
nicht ummantelt, sondern bloss
bist du mir Mond am Horizont
– so lächerlich und einzig.

Und schon schiebt sich
die erste Nachtwolke
zwischen uns.

Schon seltsam, wie die Zeit die Dinge wandelt. Heute stehe ich allem und allen mit einer unwirklichen Gleichgültigkeit gegenüber. Und die Dinge, die mir nicht gleichgültig sind, lasse ich vorbeiziehen, lasse ich gehen. Als ob ich Klebstoff wäre, der mit den Jahren spröde geworden ist. Und trotzdem sehe ich mich morgens im Spiegel an und denke: Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden. Ich bin glücklich. Was möchte ich mehr?

Ich war in Clermont-Ferrand an einem Kurzfilmfestival. Und es war der Hammer. Es war lustig, aufregend, anstrengend und sehr abwechslungsreich. Badana und ich haben viele Kontakte geknüpft und die meisten (mit einer Ausnahme) Leute waren sehr nett und offen. An einem Abend – an der Soiree des Deutschen Films – hab ich die schrecklichste und schönste Erfahrung seit langem gleichzeitig gemacht. Achterbahn sozusagen. Aber gut. Manchmal sind Reptiloiden gut, um einem die Augen für die Schönheit zu öffnen. Und dann, es war früh am Morgen, es hatte die ganze Nacht geschneit, die Stadt lag vor uns unberührt, der Schnee einen Meter hoch, Badana und ich stapften durch die Strassen, blieben stehen und Aboubakeur Hamzi sagt: „Ich lebe im Augenblick.“ Und ich sage: „Und dies, dies ist unser Augenblick.“

Wäre die Kälte nicht so durchdringend, ich würde mein Innerstes nicht fühlen. Wir sollten dankbar sein. Für die leuchtenden Momente. Für Freundschaft und Nähe. Funkeln in der Nacht. Wie Tigeraugen. Ich bin gespannt, was 2012 noch so alles bringen mag. Vielleicht ist eine Pfeife ja wirklich keine Pfeife.

Traurig blau

Mit den Flügeln der Zeit fliegt die Traurigkeit davon. - Jean de La Fontaine

Mit den Flügeln der Zeit fliegt die Traurigkeit davon. - Jean de La Fontaine

„Wolken ohne Schatten,
auf der Südseite aber,
ist ein Stückchen Himmel
traurig blau.“
(Fernando Pessoa aus „As nuvens são sombrias…“)

Dieser, mein Januar fühlt sich für mich an, wie ein grosses Atemholen. Wie ein langer, andauernder Seufzer. Mein Silvester war schön und versöhnlich. Meine ersten Wochen im neuen Jahr gespickt mit warmen Erlebnissen. Als würden die Menschen mir mit mehr Aufmerksamkeit begegnen. Mit einem liebevollen Blick, mit einer Hand auf der Schulter, die „alles wird gut“ sagt. Traurigkeit fühlt sich wie ein sattes Dunkelgrau an. Anhaltende Traurigkeit wie sattes Dunkelgrau mit einem tiefen Ton unterlegt. Trotz aller Traurigkeit aber weiss ich, dass dieser Weg, den ich gehe, richtig ist. Dass es für mich diesmal nur diesen einen Weg gibt – leider. Ich drehe es und wende es und jedes Mal verstehe ich auf’s Neue, dass ich nicht anders kann.

„Stumm betrachte ich den See,
den eine Brise kräuselt.
Nichts weiss ich, wenn ich an das Ganze denke
oder es ist das Ganze, das mich vergisst.“
(Fernando Pessoa aus „Contemplo o lago mudo“)

So lasst uns also seufzen, über Brücken gehen, tief Atem holen, in die Weite sehen, den Wasserhahn tropfen hören, den Stimmen folgen, in uns hineinsehen und manchmal dabei lächeln. Zuversicht ist heute mein grösstes Gut.

Was zu ertragen ist

„Bleib gelassen mein Herz! Schon grössere Freiheit ertrugest du.“ (Frei nach Homer)

Nun denn. 2012 ist also da und ich atme langsam ein, trete von einem Fuss auf den anderen und versuche meine Hände, meine nervösen Hände, im Zaum zu halten. Langsam trete ich vor den Spiegel und sehe in mein bleiches Gesicht. Eine Badezimmerlampe flackert kurz und geht dann aus. Ich betätige den Lichtschalter, einmal, zweimal, die Lampe bleibt stumm. Leise fluche ich und setze mich im fahlen Licht der übrig gebliebenen Lampe auf den Badewannenrand und putze mir die Zähne. Die weissen Kacheln blicken mich vorwurfsvoll an und meine nackten Beine zittern. Ich glaube nicht, dass meine Augenringe heute wegzubringen sind. Ich glaube nicht, dass es einfacher wird.

By Barbara Licha

By Barbara Licha

Neues Jahr, neues Spiel, neues Glück

Wir sind am Jahresende angekommen. Es war ein seltsames Jahr, dieses 2011. Einerseits sehr glücklich, lustig und leicht. Andererseits aber auch sehr neblig, zäh und undurchdringlich. Das vermaledeite zukünftige 2012 dagegen wird prächtig. (Badana sagt, ich dürfe nur sehr leise über 2012 fluchen.)

Und weil wir am Jahresende angekommen sind und mein Leben sowieso gerade einer Partie russisch Roulette gleicht, befragen wir diverse Wahrsagerdinge – kann ja nicht schaden.

  • Das Buch der Antworten sagt auf die Frage, ob 2012 gut wird: „Du wirst den Beweis dafür bald sehen.“
  • Das Zitate-Spiel sagt: „Idealzustände können nicht länger dauern – als drei mal vierundzwanzig Stunden.“ (Theodor Fontane)
  • Die Demeroticonkarte zu 2012 ist „Das jüngste Gericht“: Blicke zurück auf das, was Dich bis heute und hierher gebracht hat, und prüfe es hart.
  • Die Tarotkarte: Die Herrscherin: Quelle des Seins.
  • Irgendsoneandereseltsame-Wahrsagerkarte:  „Die Hoch-Zeit“. (Mit dem Hinweis aber, dass ich mich nicht verstecken dürfe. Nun denn.)
  • Und zum Schluss noch das Jahreshoroskop: „Waage-Geborene werden 2012 oft selbst überrascht von ihrer Sensibilität und ihren fast hellseherischen Fähigkeiten. Bis August haben sie das Gefühl, irgendwie fast wie im Traum durchs Leben zu gehen, bzw. geführt zu werden. Gründe dafür können sowohl ihre perfekten Verdrängungskünste in Bezug auf Lästiges bis Belastendes sein, als auch ihre Neigung in schwärmerische Verliebtheit zu verfallen oder aber das süchtig machende Begehren eines feinfühligen, etwas schüchternen Verehrers. Ab September klopft dann das grosse Glück an die Tür: ein Traum wird wahr, eine Sehnsucht gestillt, ein Wunsch erfüllt. Diese schöne Phase dauert noch lange (über 2012 hinaus) an und Waagen können – wenn sie sich im Oktober eine Entscheidung richtig fällen – lange Zeit beruhigt ihr Glück geniessen.“

Klingt ja alles mal gar nicht so übel. Somit verabschiede ich mich für dieses Jahr und danke euch herzlich für die Begleitung und den Zuspruch. Auf ein neues Jahr! Neues Spiel, neues Glück und so.

Federding

Emily Dickinson:

Die Hoffnung ist das Federding

Die Hoffnung ist das Federding,
das in der Seel‘ sich birgt
und Weisen ohne Worte singt
und niemals müde wird.

Am süß’ten klingt es in den Bö’n –
und schlimm der Sturm der kränkt
und Schaden bringt dem Vögelchen,
das soviel Wärme schenkt.

Ich hab’s auf fremd’ster See gehört
und auf der kält’sten Flur;
doch nie hat’s in Gefahr begehrt
von mir ein Körnchen nur.

 

Emily Dickinson:

Hope is the thing with feathers

Hope is the thing with feathers
That perches in the soul,
And sings the tune without the words,
And never stops at all,

And sweetest in the gale is heard;
And sore must be the storm
That could abash the little bird
That kept so many warm.

I ’ve heard it in the chillest land,
And on the strangest sea;
Yet, never, in extremity,
It asked a crumb of me.

Frohe Weihnachten!

Heute ist Weihnachten und ich hab noch überhaupt kein Weihnachtsgefühl. Ich hab’s heute Morgen mal mit Kerzen versucht – aber das hat nicht geholfen. Vielleicht war ich in den letzten Tagen (und Nächten) einfach ein Bisschen zu wild. Zu wild, zu ausufernd, zu sehr getrennt von mir.

Statt Hasenherz unter dem Tannenbaum, hier Hasenherz mit Karotte:

Frohe Weihnachten!

Frohe Weihnachten!

 

Was zu uns kommt

„So ist das Leben und so muss man es nehmen: tapfer, unverzagt und lächelnd, trotz allem.“ (Rosa Luxemburg)

Es ist Sonntagabend, ich höre „Video Games“ von Lana del Rey und sitze (wie könnte es anders sein) im Zug. Ich habe Ferien. Das ist gut. Viel zu lange hab ich keine mehr gehabt. Ich freue mich und bin auch etwas bang. Hier riecht es ein Bisschen nach Sellerie. Ich mag den Geruch von Sellerie nicht besonders. Viel lieber mag ich den Geruch von Tiefgaragen, Zermatt oder von tiefer Nacht.

Und ich bin glücklich. Was für ein nerviges, schwieriges und großartiges Jahr das war. Ich blicke auf meine Hände und betrachte meine Fingernägel, die sich tiefrot in der Fensterscheibe spiegeln. Wie Blut, denke ich. Heute ist ein Tag an dem fremde Menschen viel zu nah an mir vorbeigehen. So, dass ich, vorhin auf dem Bahnsteig, immer einen Schritt zurück machen musste. Als ob sie überprüfen wollten, ob ich die bin, die nach Sellerie riecht. Ich rieche an meinem Pulli und bin mir nicht sicher.

Gerade hab ich Aarau passiert und der Elvetino-Mann riecht nach Nägeli. Nun denn. Besser als… Du weißt schon. Letzte Woche hatte ich ein Zwiegespräch mit meinem Herzen. Ich hab es angehalten zu schweigen und ihm versprochen, dass es später, dann wenn ich Ferien hätte, sprechen dürfe. Und jetzt, da ich Zeit habe und nichts gegen eine Auseinandersetzung hätte, schweigt es. Mehr noch: es ist alles gesagt. Wie schnell sich Dinge verändern können! Ich staune immer wieder.

„Das Abenteuer ist etwas, das seinem Wesen nach zu uns kommt, etwas, was uns wählt und nicht erst gewählt wird.“ (G. K. Chesterton)

It’s you and me again

„Es bringt nichts, das Leben zu bereuen, das man nicht geführt hat.“

Wenn wir also ein Leben führen, das sich zettelt, verbirgt unter bemoosten Steinen, dann mit Demut. Kinder, ich könnte euch Geschichten erzählen! Tu ich aber nicht. Manche Dinge brauchen einfach kein Licht. Zeko zum Beispiel betrachtet die Inexistenz der Graustufen als eine Art Paradies. Darin kann ich ihm folgen. In diesem Paradies also würden eben diese Dinge vollständig im Schatten liegen. Verborgen, zugedeckt von tiefstem Schwarz. Ein Schwarz so schwarz, dass es unser Denken übersteigt. Im echten Leben aber, sind diese Dinge dunkelgrau. Schimmernd im Licht- und Schattenspiel.

„Hello, Hello, it’s you and me again,
How can we pretend we’ve never met? “
(Nicht ganz richtig zitiert – das ist dann wohl künstlerische Freiheit.)

Wenn ich einen Wunsch frei hätte (dafür würde ich auch den Drachen töten), würde ich mir wünschen in einer Wiese in der Nähe eines Waldrands zu liegen. Es wäre Sommer aber nicht zu heiss. Die Wiese würde irgendwo in den Bergen liegen, die Aussicht wäre atemberaubend. Meine Liebsten wären bei mir und ich würde bei geschlossenen Augen ihrem Lachen und Scherzen lauschen. Seine Hand würde leise über meine Haare streichen – ich würde ihn an seinem Geruch (der übrigens nach schwarzer Nacht riecht – ein lustiges Detail) erkennen. Ich würde lächeln. Und dann schlafen. Lange und tief und ruhig.

„And even though I don’t invite you,
And your presence is a pain,
You always let me be just who I am,
Until I’m glad to bring back that refrain again.“