Man sagt ja gern so Sachen wie „er ist im Fussball-Fieber“ und meint damit, dass nichts anderes als Fussball in seiner Welt zu existieren scheint. Wenn man – so wie ich im Moment – seit Tagen hohes Fieber hat, dann weiss man auch, woher solche Vergleiche kommen. Hat man hohes Fieber, hat man Fieber, Punkt. Es gibt nichts anderes mehr. Ich kann weder lesen, noch schreiben, noch fernsehen, noch sonst was machen. Musik hören geht nicht, weil jeder laute Ton, mir fast den Schädel zerreisst. Versuche ich SMS oder Mails zu schreiben, habe ich extrem Mühe zusammenhängende Texte zu verfassen, ich muss alles zehnmal durchlesen, und meine Augen schmerzen dabei. Gestern Vormittag war ich beim Arzt und der hat mir Schweinegrippe attestiert. Ich sass da im Wartezimmer und irgendwann liefen mir nur noch die Tränen runter. Die Schmerzen und die Anstrengung (zum Arzt zu gehen und auf einem Stuhl zu sitzen) waren so enorm, dass ich nur noch heulen konnte. Danach war ich den Rest des Tages so platt, dass ich wirklich überhaupt nix anderes als liegen fertigbrachte. Mein Körper fühlt sich an, als wäre er in eine Müllsortiermaschine gekommen. Mein Hirn ist bestimmt schon Brei, so wie das gekocht wurde. Und es ist keine Besserung in Sicht. Ich weiss, dass das unter Umständen Tage dauern kann (12 Tage, 14 Tage) und doch würde ich mir eine Besserung so wünschen. Mir fällt die Decke auf den Kopf. Mir ist langweilig. Mein Geist spinnt Flausen, mein Körper liegt flach. Und jedes Mal wenn ich Fieber messe – egal wie viele fiebersenkende Mittel in intus habe – habe ich Fieber. Als hätt das Fieber beschlossen bei mir zu bleiben.
Dienstag
wenn die uhr schlägt zwei uhr zehn
Gestern hab ich – inspiriert durch Kerberos (danke!) – ein kleines Shizzle-Gedicht geschrieben. Hier:
ich will, dass die sonne lacht
in mir, bis mitternacht
und dazu stille, wärme, heiterkeit
ohne furcht und ängstlichkeit.
möchte immer wieder untergehn,
wenn die uhr schlägt zwei uhr zehn.
damit der herzschlag endlich leiser
und ich mein eigner platzanweiser.
Ansonsten war der Tag gestern wenig spektakulär. Ausser, dass meine Zündschnur wieder länger wurde und ich der Welt ein Bisschen freundlicher gesinnt. Ausserdem hab ich heute Morgen den Bergmensch im Bus getroffen und der hat mir ein so umwerfendes Lächeln zugeworfen, dass der Tag ein echt Guter sein muss – es geht einfach nicht anders.
Gestern Abend hab ich mir den Dok über die Frauen in Odessa angeschaut. Mal abgesehen, dass das Thema ein sehr interessantes ist, war es wunderschön Odessa „mal wieder zu sehen“. Ich kannte alle Plätze und Orte, die im Dok gezeigt wurden und da wurde mir plötzlich bewusst, dass ich die Stadt ziemlich gut kenne. Und dass ich sie manchmal vermisse. Vielleicht ist das so mit Orten. Vielleicht vermisst man vor allem das Gefühl, dass man hatte, als man da war. Ich vermisse das Odessa-Gefühl.
Die ungeborene Frau im immergrünen Garten
Es gibt da so ein Zitat von Ambrose Bierce: „Alle sind Irre; aber wer seinen Wahn zu analysieren versteht, wird Philosoph genannt.“ Letzte Woche – ich hatte Ferien und war im italienischen Tessin und hab eine wunderbare Aussicht genossen (siehe Bild) – hatte ich viel Zeit, um über meinen „Wahn“ nachzudenken. Ich hab sozusagen versucht beim laufenden Deckenventilator ein Ventilatorenflügel zu fixieren und zu verfolgen. Denn Gedanken sind schnell wie Flügelschläge und wenn man sie haschen (und erkennen) möchte, braucht es viel Konzentration. Dann und wann hat Dr. Fritz einen Besuch abgestattet, den grossen Teil der Zeit aber, hab ich in ziemlicher Ruhe und in Frieden verbracht. Das hat gut getan!
Es gab da so ein (Traum-) Bild, das mich diese Woche begleitete: Es existiert eine Frau, die ich bin und doch nicht ich bin, die in einem immergrünen Garten steht und Lieder singt. Sie trägt ein Kleid (ein Kleid, das ich nie tragen würde) und steht aufrecht zwischen Büschen und Blumen und ist unsterblich, denn sie ist längst gestorben oder aber nie geboren. Genauso, wie der immergrüne Garten, ist sie nicht zerstörbar, denn wie könnte man etwas töten, das schon tot? Könnte ich, ich hätte sie längst vernichtet. Sie steht also da – geistergleich – und singt von unerfüllter Liebe und grossen Schlachten. Vielleicht ist das so, wie in diesen Gespensterfilmen: Würde ich aufhören an sie zu glauben, würde sie nicht länger existieren.
Ich hab dann in einem grandiosen italienischen Supermarkt „Baci“ gekauft (so Schoggi-Dinger), die – ähnlich wie Glückskekse – Zettelchen mit Sprüchen enthalten. Den Spruch, den ich heute erwischt habe: „Au paradis, le mariage n’existe pas.“ (Mein Bürogschpändli dazu: „Wer weiss, ob das Paradies existiert.“)
Ich habe „Das schwarze Blut“ von Jean-Christophe Grangé in den Ferien gelesen. Ein Thriller. Eigentlich sollte ich keine Thriller lesen. Die Folge davon ist, dass ich mich in den Serienmörder verliebte und gleichzeitig schreckliche Angst vor der Figur hatte. Ganz schön unheimlich.
Bittere Pillen? Süsse Medizin!

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
Mein Lieblingsarbeitskollege hat mir gerade eben was sehr Lustiges erzählt: Er habe letzte Nacht im Schlaf geredet. Das hätte ihm seine Frau heute Morgen mit einer hochgezogenen Augenbraue eröffnet. Folgendes habe er gesagt: „Sabine ist mein Subutex.“ Mein Lieblingsarbeitskollege konnte in wachem Zustand beim besten Willen nicht sagen, was genau Subutex ist. Dann hat er es nachgeschlagen: „Subutex (Buprenorphin) ist ein lang wirkendes, synthetisches Opioid. Es wirkt wie Methadon, Heroin oder Morphin und andere Substanzen. Mit Subutex kann ein Entzug durchführen, wer nicht an zu hohe Dosen Heroin oder Methadon gewöhnt ist. Vor allem HeroinraucherInnen oder HeroinsnifferInnen können mit Subutex ohne Klinikaufenthalt einigermassen gut erträglich entziehen.“ Nun. Mir liegt es Fern diese Traum-Aussage deuten zu wollen.
Letzte Nacht hab auch ich ziemlich wirres Zeug geträumt. Ich kann mich nicht genau daran erinnern. Es schien aber was Schönes gewesen zu sein, denn ich bin mit einem guten Gefühl aufgewacht. Irgendwie zufrieden und vorfreudig. Die Vorfreude erstaunt mich nicht. Werde ich doch nächstes Wochenende in Frankreich verbringen. Zusammen mit meinen Lieblingsvettern, zu Gast bei Gotte Miau.
Letztes Wochenende war ich mit Häschen am Stadtsommerkonzert im Rieterpark. Konzert und Rieterpark funktioniert wirklich tadellos. Danach waren wir noch an einer abgewrackten Party in einem Güterbahndings. Dort haben wir sehr seltsame Typen kennengelernt, die irgendwie nett waren aber auch total zerstört. Ste – einer dieser Typen – gab den Obermacker, so mit harter Lederjacke und nach hinten geschmierten Haaren. Dennoch hatte der was im Blick, das einem anrührte. So ein Kuscheltierblick. Sehr seltsame Mischung.
Ach, ja: Der Gang in die Buchhandlung „Buch am Platz“ in Winterthur hat sich gelohnt. Dort wurde mir „Das war ich nicht“ von Kristof Magnusson empfohlen. Mag ich.
I must be crazy ‚cause I’m feeling kind of good
(She was an alcoholic artist with too much makeup round her eyes…) Ich war ja diese Tage in Hamburg und hab dabei zugeschaut, wie Hase heiratet. Es war schön und romantisch und lustig und ach. Auf der Zugfahrt von Zürich nach Hamburg und von Hamburg nach Zürich (insgesamt dann doch 15 Stunden) hab ich ein einziges Lied gehört. Immer und immer wieder. Ich weiss, klingt ziemlich exzentrisch. (…and I never knew her real name, she was sunbeam wrapped in lies…) Und während ich das Lied gehört habe, hab ich nachgedacht. Viel nachgedacht. Zuerst fürchtete ich dabei verrückt zu werden. Dann aber hab ich gemerkt, dass ich nicht verrückt werde, dass es mir gut tut. (…but I love her and I’m sorry and that’s all there is to say…) Irgendwann – etwa auf Höhe Frankfurt – bin ich dann zum Schluss gekommen, dass ich vielleicht aufhören sollte, mir meine doch etwas seltsame und offene Art übel zu nehmen. Ich hab nämlich ein Advokatenpelztier in meinem Kopf, das grausam konservativ ist. Und dieses konservative Ding hätte gerne Haus, Hund und Hecke. Leider passt das aber nicht zu mir. (…It’s like fairy from the ancient time and I hope it stays that way…) Ich musste also mein Advokatenpelztier enttäuschen. Darauf weinte es bitterlich, heulte rum, zürnte fürchterlich, veranstaltete ein grosses Drama und schlief dann erschöpft ein. (…and when I woke up on your kitchen floor with a headache made in hell…) Ich aber fühlte mich sehr befreit. Es ist schön, zu wissen, dass der sicherste Platz bei einem selbst ist. Und dass man sich nicht zu fürchten braucht. Und dass man doch auch einfach mal zugeben darf: Ich kann das einfach nicht. Nicht jetzt. (…and the flowers that I gave you smiled at me from the window pane. Then I thought I must be crazy ‚cause I’m feeling kind of good…) Es muss einfach ein Lebenskonzept für mich geben, das funktioniert. Nicht wahr? Ich bin zuversichtlich. (…and then when satan helped me up again, it was then I understood…)
An der Hochzeit sass ich zusammen mit Anna – mit der ich mich glücklicherweise sehr gut verstand – am Single-Tisch. So ein Single-Tisch an einer Hochzeit ist ne teuflische Erfindung. Man fühlt sich sowas von saublöd. Und wenn dann auch noch der Single-Schreck am selben Tisch sitzt, kann man nur noch …. du weisst schon… ja genau: Angriff ist die beste Verteidigung. (…Well I was never meant to be a good boy, I was never meant to go to school…) Ich hab mich dann – als ich mich endlich vom Single-Tisch entfernen durfte – sehr gut mit dem fantastischen Teufel unterhalten. Er hat mir ein paar Tipps gegeben – schliesslich ist er ja Experte in alternativen Lebenskonzepten. Gute Tipps übrigens! (…Well it’s guys like me who get somewhere, ‚cause everybody pity a fool. Now it’s payback for the rainy days, now it’s no more me and you…)
Schliesslich landete eine kleine Gruppe von Hochzeitsgästen in den frühen Morgenstunden im „Wohnzimmer“ des Hotels mit einem Kasten Bier, fütterte die Jukebox und liess die Feier sanft ausplämpern. (…Well I got mine, you got yours, babe. Now it’s payback, now it’s me against the world. It was the last time I forgave you.)
PS: Ach ja, das Lied: „Song for Aberdeen“ von Mando Diao
Fussball, Sommer & nichts könnte schöner sein
Es ist Sommer. Ich liebe den Sommer. Ich liebe es Abends in den See zu springen und danach auf der Wiese zu liegen. Ich liebe es, in den Park joggen zu gehen und die Lunge nicht wegen der Kälte sondern wegen des Rauchens zu spüren. Ich liebe den Geruch der Linden, der gerade im Moment süss und kitschig in der Luft liegt. Ich liebe den Sommer.
Vielleicht erinnere ich mich irgendwann im Januar an diesen Sommer und werde zu meiner Freundin, die neben mir an der Tramhaltestelle sitzen wird, fest eingewickelt in einen Wintermantel, leise die Kälte verfluchend, sagen: „Weisst du noch, im letzten Sommer? Da war ich glücklich. Und es war keine aufgeregte Form von Glück (so, wie man glücklich ist, wenn man im Lotto gewinnt oder frisch verliebt ist), nein, es war eine ausgeglichene Form von Glück. Anhaltend, ausdauernd und gutmütig. Hach, wie war das schön im Sommer 2010!“ Meine Freundin – sehnsüchtig nach der Tram Ausschau haltend – wird seufzen und zustimmend nicken.
Mein Lieblingsarbeitskollege hat heute verzweifelt gefragt: „Was werden wir nur tun, wenn die Fussball-WM vorbei, die Tage kürzer? Was werden wir nur im Winter tun?“ Ich hab ihn in die Seite gepufft und ihm verboten über den Winter zu reden. Aber er hat schon Recht. Was – zum Henker – tun wir nur im Winter? Mir graut…
Nun. Ich denke, ich geniess jetzt erst mal den Sommer. Schliesslich ist Gelassenheit eine anmutige Form des Selbstbewusstseins.
Man nennt mich flatterhaft und was weiss ich…
Gestern war ich gegen Abend bei Peter und wir haben auf der Dachterrasse Prosecco getrunken und die Aussicht, die war so:
Wunderschön, nicht wahr?
Das Pfingstwochenende war irgendwie crazy – mal wieder, mal wieder. Wir gehen nicht näher darauf ein, das wäre rufschädigend.
Ich habe „Man nennt mich flatterhaft und was weiss ich…“ von Edgardo Cozarinsky gelesen. (Passt.)
Und Peter hat mir ein paar Bücher geschenkt. „Silvester bei Stalin“ von Boris Schumatsky hab ich auf der Heimfahrt zu lesen begonnen. Gefällt mir sehr gut!
O du Berlin, du bunter Stein, du Biest
Gesänge an Berlin
(Alfred Lichtenstein)
1
O du Berlin, du bunter Stein, du Biest.
Du wirfst mich mit Laternen wie mit Kletten.
Ach, wenn man nachts durch deine Lichter fliesst
Den Weibern nach, den seidenen, den fetten.
So taumelnd wird man von den Augenspielen.
Den Himmel süsst der kleine Mondbonbon.
Wenn schon die Tage auf die Türme fielen,
Glüht noch der Kopf, ein roter Lampion
Ich freu mich so auf Berlin! Ich freu mich auf Berlin, wie ich mich auf einen alten Freund freue, den ich lange nicht mehr gesehen habe.
Jahahahahahahahaha!
Als hätt‘ es nie zuvor blauen Duft gegeben
Die Ostertage hab ich verbracht, als wär es heiss, als ob ein Flimmern am Horizont stünde, als ob man mit nachts mit offenen Fenstern schliefe, um die Hitze zu vertreiben. Einbisschen rastlos auch und dann und wann mit geschlossenen Augen.
Nennen wir es Frühlingslied
In das Dunkel dieser alten, kalten
Tage fällt das erste Sonnenlicht.
Und mein dummes Herz blüht auf, als wüsst es nicht:
Auch der schönste Frühling kann nicht halten,
Was der werdende April verspricht.
Da, die Amseln üben schon im Chor,
Aus der Nacht erwacht die Welt zum Leben,
Pans vergessenen Flötenton im Ohr …
Veilchen tun, als hätt‘ es nie zuvor
Laue Luft und blauen Duft gegeben.
Die Kastanien zünden feierlich
Ihre weissen Kerzen an. Der Flieder
Bringt die totgesagten Jahre wieder,
Und es ist, als reimten alle Lieder
Sich wie damals auf „Ich liebe dich“.
-Sag mir nicht, das sei nur Schall und Rauch!
Denn wer glaubt, der forscht nicht nach Beweisen.
Willig füg ich mich dem alten Brauch,
Ist der Zug der Zeit auch am Entgleisen-
Und wie einst, in diesem Frühjahr auch
Geht mein wintermüdes Herz auf Reisen.
Alles hat seine Zeit
Abends um halb Zwölf sitze ich in meinem Zimmer, die Zähne bereits geputzt, ich muss ins Bett. Aber. Aber. Aber. Das Leben ist schön. Heute ist mir ein riesiger Stein vom Herzen gefallen. Ich hab ihn aufschlagen hören auf dem kalten Zementfussboden. Da ist Dankbarkeit und Freude. Ich bin nicht allein. Und die Fassaden gegenüber des Restaurants Savoy im Herzen von Zürich schimmern golden. Heute war ein guter Tag. Weil ich in der Zähigkeit Halt gefunden habe. Weil es manchmal einfach weiter geht. Weil es gut weiter geht. Weil man den Mut haben muss, um Hilfe zu bitten. Weil man – wenn man sich erst verliert – zu sich kommen kann. Weil es den Kampf wert ist. Weil man im verregnete Pflaster Schönheit suchen kann und vielleicht etwas ganz Konträres findet (und damit meine ich nicht Hässlichkeit). Wo ist schon Heimat, wenn nicht in meinen unruhigen Händen?
Nun. Ich bin gerade enthusiastisch. Das war ich schon lange nicht mehr.
An einem 30. März sollte man enthusiastisch sein dürfen. Alles hat seine Zeit.
Nein, ich werde nicht mehr wach, dort im Schnee.
Alles hat seine Zeit.




