If

Kennst Du das Gedicht von Kipling? „If“? Nein? Es geht so:

If you can keep your head when all about you
Are losing theirs and blaming it on you,
If you can trust yourself when all men doubt you,
But make allowance for their doubting too;
If you can wait and not be tired by waiting,
Or being lied about, don’t deal in lies,
Or being hated, don’t give way to hating,
And yet don’t look too good, nor talk too wise:

If you can dream – and not make dreams your master;
If you can think – and not make thoughts your aim;
If you can meet with Triumph and Disaster
And treat those two impostors just the same;
If you can bear to hear the truth you’ve spoken
Twisted by knaves to make a trap for fools,
Or watch the things you gave your life to, broken,
And stoop and build ‚em up with worn-out tools:

If you can make one heap of all your winnings
And risk it on one turn of pitch-and-toss,
And lose, and start again at your beginnings
And never breathe a word about your loss;
If you can force your heart and nerve and sinew
To serve your turn long after they are gone,
And so hold on when there is nothing in you
Except the Will which says to them: ‚Hold on!‘

If you can talk with crowds and keep your virtue,
‚ Or walk with Kings – nor lose the common touch,
if neither foes nor loving friends can hurt you,
If all men count with you, but none too much;
If you can fill the unforgiving minute
With sixty seconds‘ worth of distance run,
Yours is the Earth and everything that’s in it,
And – which is more – you’ll be a Man, my son!

Es war eines der Lieblingsgedichte von Seebub. Ich hab es in den letzten Monaten immer mal wieder gelesen. In den dunklen Tagen, wenn man der Verzweiflung seeeeeeeeeeeeeehr nahe ist, ist es schwer dieses „Hold on!“. Ich kann immerhin meinen Mundwinkel wieder etwas heben. Millimeter um Millimeter um Millimeter um Millimeter. Und weil gerade die Verzweiflung die grösste Geisteskraft gebiert, hier die „Schlüsse-Liste“:

  1. Süss ist es, allem Ungemach entflohen zu sein.
  2. „Wer Geist hat, hat sicher auch das rechte Wort, aber wer Worte hat, hat darum noch nicht notwendig Geist.“ (Konfuzius)
  3. Aufstehen, sich den Staub von den Hosen klopfen, den Blick nach Vorne richten und ohne ein Wort gehen, ist Statement genug.
  4. Fake it!
  5. Noch nicht gestorben zu sein, ist das grösste verdammte Glück auf Erden.
  6. Wohin ich auch gehe, es werden grüne, lange Gräser am Strassenrand wachsen.
  7. Liebe ist das gefährlichste Abenteuer überhaupt. Dagegen sind Bungee Jumping, Kriegstourismus und wilde Tiere einen Dreck.
  8. Der Glaube an’s Chaos ist so verwirrend wie auch befreiend.
  9. Wann, wenn nicht jetzt?
  10. Gesundheit ist ein wahnsinnig wertvolles Gut.
  11. Alleine am Küchentisch zu sitzen und sehr rauchigen Whisky zu trinken, hat etwas versöhnliches.
  12. Wohin ich auch gehe, die langen Gräser werden sich sanft im Wind bewegen.
  13. Dumm sein, ist sehr frustrierend.
  14. Nimm alles, alles, alles Schöne in Dir auf und wiege es in Deinem Herzen.
  15. Dein Hirn ist verdammt genial.
  16. Auch kleine Schritte sind Schritte.
  17. Die grösste Gabe von uns Menschen ist die Fähigkeit zu adaptieren.
  18. Alles, was einem zum Lächeln gebracht hat, darf man nicht bereuen.
  19. Nichts ist sicher.
  20. Wehe dem, der mich begehrt.

Nun wünsche ich Dir, geneigter Leser, einen schönen Abend. Und vergiss nicht: Ehre, wem Ehre gebührt. In diesem Sinne: Zum Wohl.

Am Sterbebett

Das Gestern ist fort - das Morgen nicht da. Leb' also heute! (Pythagoras)

Das Gestern ist fort – das Morgen nicht da. Leb‘ also heute! (Pythagoras)

Gestern bin ich an dein Sterbebett geeilt. Während ich eilte, habe ich versucht nicht darüber nachzudenken, Distanz zu gewinnen, in mich hinein zu hören. Als ich dann neben dir am Bett sass und du stöhntest und zu husten versuchtest und wütend warst und auch irgendwie erzürnt über die Schmerzen und das Leben, dass dir kein einfaches Ende beschert, habe ich versucht mir vorzustellen, wie es gewesen sein muss, du zu sein, wie du gelacht hast und gerannt bist und wie du Liebe gemacht hast. Es ist mir in gewissen Momenten gelungen, dich zu sehen, dich wahrzunehmen und Abstand zu gewinnen zu deinem jetzigen Nicht-Sein. Zwischen deinen Büchern habe ich ein Buch über das Warten gefunden, das ich gelesen habe, weil ich dachte, dass es passt. Im Nachhinein muss ich mir eingestehen, dass es nicht die beste Lektüre war. Ich hätte lieber Kriminalgeschichten gelesen, von denen du einige hast.

Dein Sterben für ein paar Stunden zu begleiten, hat mich traurig gemacht und dann, wenn du wütend warst und mich angeschnauzt hast, dann war die Trauer verflogen. Es war plötzlich normal. Sterben gehört zum Leben dazu, auch wenn wir – gerade wir – es auszublenden suchen. Dein Sterben hat mich auf mich selbst zurückgeworfen. Natürlich! Es sind immer die Fugenmomente, die Situationen am Rand des Daseins, die uns auf uns selbst zurückwerfen. Heftig und gnadenlos. Es hat mich müde gemacht, so sehr auf mir selbst zu kleben. Es hat mich erschöpft. Mein Schlaf war dann auch traumlos und kurz.

Viel zu früh bin ich erwacht, habe geflucht und den Schlaf trotzdem nicht mehr gefunden. Ich bin dann – ohne mein Pyschi auszuziehen – in meine Stiefel gestiegen, hab den Mantel umgeworfen, mir eine Flasche Wasser gefüllt und bin runter zum See. Da sass ich, hörte Musik und versuchte klarer zu werden. Der See war spiegelglatt, die Sonne ging hinter den Bergen auf, das Bild war von grandioser Schönheit. Mein Atem ging ruhiger und ich habe versucht eine Entscheidung zu treffen. Habe versucht die Ängste und Befürchtungen hinter mir zu lassen. Mein Leben beschert mir gerade ein Geschenk. Es liegt an mir, es anzunehmen. Und was, wenn du lange schon tot sein wirst, wenn ich in ein paar Jahren Blumen auf dein Grab lege und mich verfluchen werde für diese Vorwärtsbewegung? Was, wenn ich bereue? Was, wenn ich eines Tages zeternd zu sterben versuche und weiss, dass das alles nicht richtig war? Ja, dann… Ja, dann…

Egal was kommt, am Ende ist es so, dass wir hinter unserer Sehnsucht zurückgeblieben sein werden.

There’s an earthquake coming

Nun bin ich bereits wieder einige Zeit zurück aus den Ferien. Wie ich vorausgesehen habe: Kopenhagen ist grossartig. Ich liebe diese Stadt. Sie fühlt sich wie heimatliche Fremde an. Besonders mag ich an Kopenhagen den Himmel, die Strassen, die Menschen (sie lächeln einem an – auch die Frauen – wahnsinn), die Sprache, die unaufgeregte Gelassenheit. Diese Ferien haben sehr gut getan und mir neuen Mut geschenkt. (Das mit der Veränderung tut auch gar nicht weh und ich habe mich bereits darin eingerichtet, die Angst war also unbegründet.)

„Menschliches Glück stammt nicht so sehr aus grossen Glücksfällen, die sich selten ereignen, als vielmehr aus kleinen glücklichen Umständen, die jeden Tag vorkommen.“ (Benjamin Franklin)

In den Ferien habe ich auch einige Bücher gelesen:

Es war richtig toll, mal wieder Buch um Buch zu lesen.

Jetzt, da ich wieder zurück bin und durch meinen wunderlichen Alltag eile, versuche ich die Kopenhagen-Fähigkeiten nicht zu verlieren. Ich lächle also Menschen an. Auf der Strasse, im Café, am Konzert. Und teilweise funktioniert das sogar. Die Menschen lächeln zurück. Das macht dann so richtig gute Laune. Im Ohr hab ich „Chicken Bones“ von John Grant. Da muss ich beim hören sowieso immer Grinsen.

Dann verweht, was uns bedrückt

Und plötzlich war da ein Hasenviech.

Und plötzlich war da ein Hasenviech.

„Aus meiner tiefsten Seele zieht mit Nasenflügelbeben ein ungeheurer Appetit nach Frühstück und nach Leben.“ (Joachim Ringelnatz)

Heute habe ich – als ich vom Bahnhof die Treppe hochhetzte – eine Entdeckung gemacht. (Siehe Bild.) Das war eine sehr schöne Überraschung. Sein Hasenviech plötzlich so öffentlich zu sehen. Da war wohl jemand kreativ. Sehr schön.

Überhaupt. Seit so schönes Wetter ist, fühlt sich das Leben anders an. Alles ist leichter. Man mag eher verzeihen und ist ein Bisschen weniger wütend. (Nicht wahr, Igor?)

Gestern als ich im Rimini sass und das erste Mal dieses Jahr ins Flussbad-Wasser schaute, stiess ich mit meinen fabelhaften Freundinnen auf den Piratensommer Reloaded an. Ein guter Moment: Es wird Sommer.

Wenn im Sommer (Otto Bierbaum)

(…) Dann verebbt, was uns bedroht,
dann verweht, was uns bedrückt,
über dem Schlangenkopf der Not
ist das Sonnenschwert gezückt.
Glaube nur, es wird geschehn!
Wende nicht den Blick zurück!
Wenn die Sommerwinde wehn,
werden wir in Rosen gehn,
und die Sonne lacht uns Glück!

Der zweifelhafte Gast

Der zweifelhafte Gast von Edward Gorey

Der zweifelhafte Gast von Edward Gorey

Phu. Mir ist etwas flau. Ich hab gestern billigen Aldi-Whiskey getrunken (es war ein Notfall) und der hatte es in sich. Nun denn, es war nötig. Und jetzt also Ostern. Ostern ist mein Lieblingswochenende im Jahr. Weil man viel frei hat und Ostern meistens in den noch zögernden Frühling fällt. Heute riecht es nach feuchter Erde und Anfängen. Ich mag das sehr. Der Karfreitag mag ich ganz besonders. Ich erinnere mich an einige vergangene Karfreitage gern zurück. Da war zum Beispiel der Karfreitag, wo ich Leander das letzte Mal gesehen habe. Wir hatten harte Zeiten hinter uns, ich habe die Todesanzeige für seinen Bruder verfasst und in seiner Familie – in die ich so plötzlich geworfen wurde – war sehr viel Trauer. Diese Trauer und die Plötzlichkeit hat dazu geführt, dass unser „uns“ nicht weiterging. Aber unser letzter gemeinsamer Tag war sehr schön. Er war leicht und wehmütig und geprägt von Wohlwollen. Es war Karfreitag und – wie dieses Jahr – regnerisch. Wir zogen durch die Strassen, lachten viel. Wir assen, tranken und verabschiedeten uns für immer.

So ist das. Manchmal trifft man auf Menschen (und auf Orte in Menschen), verbringt eine kurze, glimmende Zeit, geht dann weiter, der Strasse entlang, an Wänden und Wiesen vorbei, auf den Wald zu. Dunkler, tiefer, schöner Wald.
Und dann gibt es aber auch die Menschen, die unverhofft in unser Leben treten und bleiben. Sie setzen sich auf das meergrüne Sofa, klopfen das Kissen zurecht und schauen sich nach einem Getränk um. Man selbst steht noch immer am Eingang, mit der offenen Tür in der Hand und weiss nicht so recht, ob man den Gast höflich bitten soll zu gehen. Dann aber denkt man: Jänu. Schlägt die Tür zu und fragt: Schnaps oder Wein?

PS: Im Easy-Tal gibt’s keine Gastritis.

Knarren und Klemmen

Jeden Tag komme ich nach Hause und hänge mein Sportzeug auf die Wäscheleine. (Einzige Ausnahmen sind der Donnerstag und der Sonntag – an diesen beiden Tagen treibe ich keinen Sport.) Es ist seltsam plötzlich sportsüchtig zu sein. Am Anfang war es hart und hat keinen Spass gemacht. Jetzt aber zähle ich fast schon die Stunden, bis ich wieder in Bewegung sein darf. Es ist, als ob das der einzige Weg wäre, um mich selbst fühlen zu können. Den Körper schinden, um zur Seele durchzudringen. Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch viel simpler.

Morgen gehe ich „Faustrecht der Freiheit“ im Theater am Neumarkt schauen. Eine Adaption von Rainer Werner Fassbinders Film. Fassbinder sagt: „Bei mir geht es um die Ausbeutbarkeit von Gefühlen, von wem auch immer sie ausgebeutet werden. Das endet nie. Das kannst du in immer neuen Variationen erzählen.”

Vielleicht könnte ich euch auch von der Ausbeutbarkeit der Gefühle erzählen. Oder von einer Variation davon. Aber wie so oft rede ich nicht. Wenn man mich so ein Bisschen kennt, würde man sich das wohl nicht träumen lassen, dass ich so gut schweigen kann. Gute Freunde wissen wohl um meine Sprachlosigkeit. Aber schliesslich: „Freundschaft ist eine Tür zwischen zwei Menschen. Sie kann manchmal knarren, sie kann klemmen, aber sie ist nie verschlossen.“ (Balthasar Gracián y Morales)

Ceci n’est pas une pipe.

René Magritte: Ceci n'est pas une pipe

René Magritte: Ceci n'est pas une pipe

Es ist minus dreizehn Grad in Zürich. Arschkalt. Diese Temperaturen erinnern mich an den Januar 2009. Damals habe ich ein Gedicht geschrieben:

Minus zehn Grad

Gleichmütig blicken die Abendlichter
mir entgegen durchs blasse Glas.
Der Zug fährt. Ich stehe still.

Jetzt, da ich dich offen trage
nicht ummantelt, sondern bloss
bist du mir Mond am Horizont
– so lächerlich und einzig.

Und schon schiebt sich
die erste Nachtwolke
zwischen uns.

Schon seltsam, wie die Zeit die Dinge wandelt. Heute stehe ich allem und allen mit einer unwirklichen Gleichgültigkeit gegenüber. Und die Dinge, die mir nicht gleichgültig sind, lasse ich vorbeiziehen, lasse ich gehen. Als ob ich Klebstoff wäre, der mit den Jahren spröde geworden ist. Und trotzdem sehe ich mich morgens im Spiegel an und denke: Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden. Ich bin glücklich. Was möchte ich mehr?

Ich war in Clermont-Ferrand an einem Kurzfilmfestival. Und es war der Hammer. Es war lustig, aufregend, anstrengend und sehr abwechslungsreich. Badana und ich haben viele Kontakte geknüpft und die meisten (mit einer Ausnahme) Leute waren sehr nett und offen. An einem Abend – an der Soiree des Deutschen Films – hab ich die schrecklichste und schönste Erfahrung seit langem gleichzeitig gemacht. Achterbahn sozusagen. Aber gut. Manchmal sind Reptiloiden gut, um einem die Augen für die Schönheit zu öffnen. Und dann, es war früh am Morgen, es hatte die ganze Nacht geschneit, die Stadt lag vor uns unberührt, der Schnee einen Meter hoch, Badana und ich stapften durch die Strassen, blieben stehen und Aboubakeur Hamzi sagt: „Ich lebe im Augenblick.“ Und ich sage: „Und dies, dies ist unser Augenblick.“

Wäre die Kälte nicht so durchdringend, ich würde mein Innerstes nicht fühlen. Wir sollten dankbar sein. Für die leuchtenden Momente. Für Freundschaft und Nähe. Funkeln in der Nacht. Wie Tigeraugen. Ich bin gespannt, was 2012 noch so alles bringen mag. Vielleicht ist eine Pfeife ja wirklich keine Pfeife.

Liebe Esmeralda

Heute Morgen traf ich die kleine Esmeralda im Zug. Esmeralda war eine meiner Schützlinge in der Kinderkrippe, wo ich mal ein Praktikum gemacht habe. Mir wurde vor Augen geführt, wie viel Zeit seit damals vergangen ist, denn Esmeralda ist jetzt ca. 14 Jahre alt. Erkannt habe ich Esmeralda nur, weil ihre Mutter bei ihr war. Ich habe nicht mit Esmeralda gesprochen – nur mit ihrer Mutter. Trotzdem schreibe ich ihr einen offenen Brief:

Liebe Esmeralda
Mit vierzehn Jahren erwachte bei mir ein Bewusstsein, das man wohl – jetzt mit Distanz betrachtet – als Übertritt ins Erwachsenenalter bezeichnen könnte. An das Jahr, als ich vierzehn Jahre alt war, kann ich mich gut erinnern. Ans Jahr vorher fast nicht. In mir erwachte ein politisches und gesellschaftliches Bewusstsein, ich schärfte meine Meinung und denke mal, dass diese damals erlangte noch immer Gültigkeit hat. Aber auch erwachte in mir die Sehnsucht, die Wünsche und Ziele, die nach wie vor Teil meiner selbst sind. Manchmal, wenn ich zurückdenke an mein gelebtes Leben, dann überkommt mich Wehmut. Nicht, weil ich Dinge bereue oder lieber anders gemacht hätte, nein. Es überkommt mich Wehmut, weil ich viele Momente und Zeiten gerne noch einmal leben würde. Jetzt, da ich etwas Erfahrung habe, weiss ich, dass ich viele Augenblicke nicht geniessen konnte, weil ich mit mir selbst unzufrieden war. Heute weiss ich, dass ich eigentlich keinen Grund hatte, mit mir nicht im Reinen zu sein. Wie schnell man ein verzerrtes Bild von sich selbst hat! Wie schnell man sich hassen lernt! Und wie lange es dauert, bis man sich einigermassen mag.

Liebe Esmeralda, lass dir gesagt sein: Trete hinaus in die Welt, frohen Mutes, sei zuversichtlich, betrachte dich mit Wohlwollen, begegne Menschen mit Vorsicht aber auch mit Offenheit. Sei neugierig! Drehe jeden Stein um. Öffne den Blick und schau ab und zu zum Himmel auf. (Den Himmel betrachten macht glücklich.) Sei gewahr: Wir liegen alle in der Gosse. Manche aber, blicken zu den Sternen auf. Hast du Wünsche, Ziele? Lass dich nicht davon abbringen. Nicht jeder wird Astronaut. (Aber vielleicht ein Schauspieler, der Astronauten spielt.)  Und vor allem: Beweg dich! Tanze. Renne. Sei ausser Atem. Denn dein Körper ist ein wichtiges Gut. Verlieb dich. Immer wieder. Lass dich nicht von den Schmerzen davon abbringen. (Und die Schmerzen – ich mach dir da nichts vor – können tödlich sein.) Küsse! Jeden Tag einmal – mindestens. (Menschen die viel küssen, leben gesund.) Spring nackt in den See und lerne. Vergrössere dein Wissen. Lies. Geh hinaus und trinke und rauche und reise im Kopf. Sei wild und ungezügelt. Sei diszipliniert was deine Ziele anbelangt. Hab Spass und sei gerecht. Sei stark – lass dir aber die Stärke nie ansehen!

Liebe Esmeralda, es gab einen Augenblick in meinem Leben, wo ich plötzlich befreit war von all meinen Ängsten und Vorurteilen gegenüber mir selbst. Er kam ziemlich spät in meinem Leben, aber er kam. Das war vor fast genau einem Jahr, im Dezember. Ich sass – früh am Morgen – in einem Hotelzimmer in einer Schweizer Stadt und blickte auf die verschneiten Bäume. Es war warm im Zimmer und die Kälte draussen, liess mich die Wärme noch deutlicher fühlen. Ich hatte mir das Frühstück aufs Zimmer kommen lassen, trank Kaffee und schminkte mich. Im Fernsehen lief die Liveübertragung von „Jeder Rappen zählt“, ein angenehm belangloses Hintergrundgeräusch. Die Nacht hatte ich mit einem Mann verbracht, den ich nicht kannte, den ich sozusagen aufgelesen hatte, der aber eine sehr angenehme Gesellschaft war. (Und den ich nie wieder sah.)  Ich hatte kaum geschlafen, erst um fünf Uhr morgens, als er mich verliess, schlief ich zwei traumlose Stunden. Ich sass also da, hing den Erinnerungen an die vergangene Nacht nach und wusste plötzlich, dass alles so, wie es ist, eigentlich ziemlich ok ist. Dass es keinen Grund für Klagen, für ein Zerwürfnis mit mir selbst oder Hass gab. Ich war und bin mit mir zufrieden. Natürlich. Es gibt viele Dinge, die ich ändern will. Die ich lernen will. Ich hab Ziele, die ich erreichen möchte. Ich möchte mehr – das ist nicht alles. Aber – und das ist der gewaltige Unterschied – es ist ok, wie ich bin. Ich bin fröhlich und stark. (Mein Vertrauenskollege würde jetzt lächeln.) Ich bin manchmal seltsam schön und sexy. Ich bin spannend und gesegnet mit Kreativität. Ich bin klug und herzlich. Und ich habe viele Fehler. Und das ist gut.

Liebe Esmeralda. Lass dich nicht unterkriegen. Die Welt liegt dir zu Füssen und tritt dich ab und zu mit selbigen. Sei gelassen. Alles wird gut.

Probiers Mal mit Heiterkeit

In Hamburg ist es kälter als in Zürich. Die Sonne aber scheint und ich wurde herzlich empfangen. Nun sitze ich alleine in Hases Wohnung, lese „Macht und Rebel“ von Matias Faldbakken, trinke Kaffee und habe ein paar Stunden Zeit, bis zum nächsten Freundestreffen. Manchmal, wenn man sich aus seinem alltäglichen Leben rausnimmt und dann jäh alleine ist, stürzen alle ungedachten, brodelnden Gedanken, die man im alltäglichen Leben immer schön säuberlich zur Seite schiebt, über einen herein. Das ist gut und gewollt. Doch manchmal auch ganz schön hart. Einatmen, ausatmen, in sich hineinhorchen, das Geräusch der Straße draußen nicht ausblenden, aufmerksam die Gefühle entgegennehmen, alles einfach mal hinnehmen, keine Ausweichbewegung machen. Den Blick durch die Fensterscheibe auf den Himmel gerichtet, den Schmerz zulassen. Wer bin ich geworden? Wer drohe ich zu sein? Vielleicht bekomme ich darauf eine Antwort, wenn ich durch diesen ganzen Gefühlsnebel gegangen bin.

„Erfahrung ist ein brutaler Lehrmeister. Aber man lernt. Mein Gott, wie man lernt.“
(C.S. Lewis)

Letzte Nacht hat mich eine tiefe und ultimative Müdigkeit übermannt, ich schlief traumlos auf Hases Sofa und erwachte ratlos. Ich dachte an die Stunden gestern im Zug und an den langen Brief, den ich während der Reise an einen imaginären Freund schrieb. Er beginnt so: „Lieber Freund, bitte verzeih mir die Klischiertheit des folgenden Satzes.“ Was mich zum Ausspruch von Max Frisch bringt: „Kann man schreiben, ohne eine Rolle zu spielen?“
Kann man sowieso irgendwas tun, ohne eine Rolle zu spielen?

Während ich wie ein verlorenes Kind durch das kniehohe Gedankenwasser am in der Dämmerung liegenden Strand wate, versuche ich mich an Mascha Kaléko zu halten: „Die Nacht, in der das Fürchten wohnt, hat auch die Sterne und den Mond.“