Am Fuss des Gebirgs

Heute war ich mit meinen neuen Arbeitskollegen zuerst Mittagessen, dann bowlen und schlussendlich haben wir noch gekocht und zu Abend gegessen. Wir haben viel getrunken und mein Ruf ist nach noch nicht mal zwei Wochen in der neuen Firma bereits schon am Arsch. Das ist Rekord. (Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich recht ungeniert.)

Momentan versuche ich Stieg Larsson zu lesen. Als ich Weihnachtseinräumhilfe war, hab ich die Stieg Larsson Bücher nicht mehr sehen können, weil wir die Dinger jede Nacht zu Hunderten haben einräumen müssen. Dann aber war ich dann doch neugierig und dachte mir: Warum nicht mal versuchen? Irgendwie erinnert es mich vom Ton und von der Stimmung sehr stark an Mankell. Mal schauen. Im Moment kämpfe ich noch.

„Stehn am Fuss des Gebirgs.
Und da umarmt sie ihn, weinend.“ (Rilke)

Schwarzes Herz vom Regen geküsst

Wenn man Ferien hat, bekommt man irgendwann ein riesiges Durcheinander mit den Wochentagen. Ist heute wirklich Mittwoch? Ich hab keine Ahnung…
Zum Glück hat mich Izzie heute rausgerissen und zum Joggen geschleppt. Sonst wär ich wohl mit einem alten Ruderboot auf den See hinaus gefahren, hätte die Ruder ins Wasser fallen lassen, ihnen gedankenverloren zugeblickt, wie sie davon treiben, hätte mich auf den Rücken gelegt, die Regentropfen gezählt, die auf meinen Mund fallen, hätte sowas gedacht wie „vom Regen geküsst“, hätte dann innerlich den Kopf geschüttelt ab so viel kitschigen Gedanken und hätte dann meinen Körper in den See fallen lassen.
Faszinierend an der ganzen Sache finde ich, dass man, gerade wenn man sehr glücklich ist, die Verletzungen und Abgründe umso mehr fühlt. Vielleicht ja, weil der Unterschied dann grösser ist. Man fühlt sozusagen die Fugen, die Täler. Oder aber man ist – gerade wenn man entspannt ist – viel eher bereit für Sachen, die man schön verpackt versorgt hat und die genau dann im entspannten Zustand *plopp* wieder auftauchen oder einem sogar sozusagen ins Gesicht rein knallen. Find ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht fair. Find ich sogar recht beschissen. Ich hab doch Ferien! Besten Dank.

Willkommen in meiner Zukunft! (Ready for Take Off?)

Guten Tag und herzlich Willkommen in meiner Zukunft, liebe Mitreisende! Wir hoffen, dass Sie sich wohl fühlen an Bord und wünschen Ihnen einen guten Flug. Sobald wir abgehoben sind, servieren wir Ihnen kalte, alkoholische Getränke wahlweise mit rotem, grünem oder gelben Schirmchen. Lehnen Sie sich zurück, strecken Sie die Beine aus, atmen Sie mal kräftig durch und freuen Sie sich auf unvergessliche Erlebnisse in meiner Zukunft. Wir werden Sorge tragen, dass das Abenteuer und die Entspannung nicht zu kurz kommen. In unserem hauseigenen Bordunterhaltungsprogramm wählen Sie für Action die Eins, für Romantik die Zwei und für Melancholie die Drei. Nun bleibt uns nur noch darauf hinzuweisen, dass unser Zukunft & Co. Bonusprämienmeilen-Programm bestimmt auch für Sie das passende Angebot bereit hält. Melden Sie sich also noch heute an! Unsere charmanten Flugbegleiterinnen beantworten jederzeit gerne Ihre Fragen.

Guten Flug und viel Spass in meiner Zukunft!

Grinsekatze

Alice und die Grinsekatze

Alice und die Grinsekatze

„Hauptsache, ich komme irgendwo hin“, sagte Alice.
„Das wirst du sicher, wenn du lange genug gehst“, sagte die Katze.
(Lewis Carroll „Alice im Wunderland“)

Heute bin ich Grinsekatze. Heute geht es mir gut. So richtig gut. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint, ich habe wenig geschlafen, viel getrunken und suche aus der Verwirrtheit Sicherheit zu gewinnen.

Gestern Abend hab ich Zermatt gerochen. Schon lustig, wie man einen Geruch mit einem Ort verbindet. Zermatt riecht nach Schnee, nach kalter Bergluft und einbisschen auch nach Metall und Tiefgarage. Ich liebe den Geruch von Tiefgaragen. Und den Geruch von Zermatt lieb ich auch. Sogehtdas.

„Mit dem Wind, dem Wasser und dem Feuer / Bin ich noch in keiner Weise quitt, / Aber meine Traumesabenteuer / Öffnen mir die Pforten ungeheuer, / nehmen mich zum Morgensterne mit.“ (Anna Achmatowa)

Wachen, lesen, lange Briefe schreiben

Gestern habe ich eine sehr kryptische Mail von Kauz bekommen. Kauz schreibt, er hätte am Wochenende Gedichte gelesen und bei folgendem Gedicht an mich denken müssen:

Herbsttag

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr gross.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süsse in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
(Rainer Maria Rilke, 21.9.1902, Paris)

Das Lustige daran ist, dass ich vor einem Jahr an unserer Familien-Weihnachtsfeier jedem der Beteiligten eine Karte mit Gedicht geschrieben habe. Ein Gedicht, das zur jeweiligen Person passen sollte (den Hintergrund dazu erklär ich jetzt nicht, das wär zu kompliziert und ist eine andere Geschichte). Mir selbst hab ich obiges Gedicht ausgewählt. Es begleitet mich also seit einem Jahr und man könnte es (wenn man daran glauben würde) fast schon prophetisch nennen.

Ich werde gut daran tun, dieses Jahr etwas vorsichtiger zu sein in meiner Gedicht-Auswahl für mich. Vielleicht sollte ich folgendes Gedicht wählen?:

Liebesbrief

So kann es nun nicht weitergehn!
Das, was besteht, muss bleiben.
Wenn wir uns wieder wiedersehn,
Muss irgendetwas geschehn.
Was wir dann auf die Spitze treiben.
Was – was auf einer Spitze tut?
Gewiss nicht Plattitüden.
Denn was auf einer Spitze ruht,
Wird nicht so leicht ermüden.
Auf einer Bank im Grunewald
Zu zweit im Regen sitzen,
Ist blöd. Mut, Mädchen! Schreibe bald!
Dein Fritz! (Remember Spitzen).
(Joachim Ringelnatz)

Tu deine Flügel auf!

Szene aus "Berliner Reigen". Ein Film frei nach Schnitzlers Drama "Der Reigen"

Szene aus "Berliner Reigen". Ein Film frei nach Schnitzlers "Der Reigen"

So, stilles Dunkel,
tu deine Flügel auf!
Sei mein einzig Funkel
in hellem ewgen Lauf.

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Grade im Vollstress bei der Arbeit. Und zwischendurch – sozusagen zur Entspannung – kurz ein kleines Gedicht geschrieben. Mitten auf der Grenze zum hysterischen Zappeln.

Zum Glück hab ich den Schnitzler, den ich gerade lese. Seine Theaterstücke. Wirklich wunderbar vergnüglich.

Als ob das komisch wär

Gerade hat mir einer meiner Lieblingsarbeitskollegen – nennen wir ihn Miraculix  – per Chat folgenden Satz mitgeteilt: „An meine Bürotür habe ich mit Blut geschrieben: Das Äussere des Irrenhauses.“
Bedenklich, ich weiss. Aber auch verständlich. Auch ich würde gerne sowas an meine Bürotüre schreiben. Leider habe ich keine Bürotüre. Ich habe nur Glas. Nichts als Glas um mich herum. Wenn das nicht schon Grund genug ist, verrückt zu werden…

Um Miraculix aufzuheitern, hier mal ein fröhliches Gedicht:

Der Komiker
Ein Komiker von erstem Rang
Ging eine Straße links entlang.
Die Leute sagten rings umher
Hindeutend: Das ist der und der!
Der Komiker fuhr aus der Haut
Nach Haus und würgte seine Braut.
Nicht etwa wie von ungefähr,
Nein ernst, als ob das komisch wär.

(Joachim Ringelnatz)

Quentchen Fragmentchen

Etwas wütend, vielleicht?

Etwas wütend, vielleicht?

Wut ist ein seltsames Gefühl. Aber auch ein sehr heilsames. Ich koche gerade.
Und unter der Wut liegt auch immer Trauer und Unverständnis und Ohnmacht.

In der Vorbemerkung von „Don Ottos Klassikkabinett„, das ich gerade lese, steht: „Nur für einen kurzen Augenblick steht das Bild vor uns; doch ebendiese Kürze beweist, dass das Fragment mehr umfasst als das Ganze.“

In dieser Wut, genau auf dem Gipfel, genau in der Mitte des Orkans, herrscht Stille. Und diesen Lidschlag lang bleibt die echte Wirklichkeit für einmal nicht verborgen. Jetzt, da die Wut abflaut, bleibt das Gefühl zurück. Ich bin verwirrt aber auch erleichtert.

Das ist es also, nicht wahr? Das ist also mein neues Leben? Ich kann es noch nicht fassen. Doch alles zeigt in diese Richtung. Und auch wenn Ikarus sagt, dass „loslassen“ bloss ein Bild ist, das in meiner WC-Galerie hängt, bin ich doch davon überzeugt, dass etwas in mir stattgefunden hat, jetzt, eben in dieser Wut.

In diesem Sinne wünsche ich euch einen schönen Abend.

Kickt eure Verlorenheit in den See, schmeisst eure Einsamkeit in den nächsten Mülleimer. Seid gelassen.

So verging meine Zeit

Mein Essen ass ich zwischen den Schlachten
Schlafen legte ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
(Auszug aus „An die Nachgeborenen“ von Bertolt Brecht)

Nachdem der gestrige Tag der blanke Horror war (angefangen hat es schon beim Aufwachen: „Morgen-Danach-Gefühl“), hat sich der Abend dann wohlwollend gezeigt und mich zu Herrn Meyer an den Tisch gesetzt. Herr Meyer hat Flausen im Kopf, die sich gut mit meinen Pelztieren verstehen. Schön, wenn das Gespräch so anregend ist, dass man die Tatsache vergisst, die Nacht zuvor nur 2 Stunden geschlafen zu haben, sich bei der Arbeit mit Biestern rumschlagen zu müssen und dann noch Opfer der schlechten Laune seiner Freunde geworden zu sein.

Vielleicht – wenn ich dann Ebene 200 erreicht habe – werde ich die Natur mit Geduld betrachten, die Liebe nicht achtlos pflegen und die Mörder in meinem Bett von der Bettkante schubsen. Vielleicht.