Bodenhaftung

Als Kind habe ich die Sommerferien bei meiner besten Freundin im Berner Oberland verbracht. Sie wohnte in einem Haus ohne fliessend Wasser (es hatte einen Brunnen an der Strasse), ohne Elektrizität und ohne Heizung. Es gab einen Holzofen in der Küche, dessen Rohr auch die anliegende Stube heizte. Alle übrigen Zimmer konnten nicht geheizt werden. Es wurden Kirschsteinkissen auf dem Ofen aufgewärmt, welche wir ins Bett nehmen konnten. Da meine beste Freundin vier Brüder hatte, blieb für uns oft kein Kirschsteinkissen mehr, wir haben dann ein Stück Holz gekriegt, welches ebenfalls auf dem Ofen aufgewärmt wurde und an das wir uns beim Einschlafen kuschelten. Morgens wurden wir zum Bauernhof geschickt, um Milch zu holen. Wir sind über Wiesen gezogen, durch Waldstücke, Hauptsache nicht dem Weg entlang. Ich kann noch heute das Gras riechen, die Blumen, die Bäume. Die Milch wurde dann im Brunnen gekühlt. Sonntags zum Abendessen gab es Kaninchen, welche wir selbst aufgezogen hatten und bei deren Schlachtung wir mit Furcht und Faszination zusahen. Für ein oder zwei Wochen besuchten wir jeweils Verwandte auf der Alp, wo wir für die Ziegen zuständig waren, welche wir melken lernten und pflegen. Wir haben Käse hergestellt und im nah gelegenen Bach gebadet. (Eine Dusche gab es ja nicht.)

Über diese Erfahrung bin ich sehr froh. Eine Form von Bodenhaftung beziehe ich daraus. Wenn das Leben mal wieder unwirklich ist und ich mich von mir selbst zu entfernen drohe, dann schliesse ich die Augen und befinde mich auf einer Sommerwiese im Berner Oberland. Es ist abschüssig, ich liege im Gras, welches meine aufgestellten Knie überragt. Man hört Insekten summen, irgendwo von Weit her Kuhglocken. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals liegt die Bergkette in ewigem Schnee, der Himmel zieht endlos über mich. Es riecht nach Erde und Sonne, nach Grün und Heiter.

Wenn Sonnenlicht durch Wolken bricht.

Gestern war ich im Casinotheater Winterthur den grossartigen „Bundesordner“ schauen. Das lohnt sich jedes Jahr, nicht nur wegen Jess. Wer also noch nicht da war, soll unbedingt hin. Hopphopp!

Wir waren danach noch in einer Spelunke, wo der kauzige Wirt italienischen Schlager spielen liess. Ein schöner Abend.

Auf dem Heimweg hab ich mich durch den Regen gekämpft, das war ziemlich garstig. Was für ein Glück, trage ich doch gerade Sonne im Herzen. Oder um Fanta 4 zu zitieren „Mein Lebensweg, Baby, sehnt sich nach Regen“.

Jetzt sitze ich in Seebubs altem Haus im leeren Wohnzimmer und schaue auf den im Dunst liegenden See. Draussen peitscht der Wind den Regen gegen das Fenster, unten fährt ein Zug vorbei, die kleine Steinskulptur auf dem Fenstersims blickt gedankenverloren. Mich friert, ich lege meine Füsse auf die Heizung, schiebe meine kalten Hände unter meine Oberschenkel und dann breitet sich ein breites Grinsen auf meinem Gesicht aus. „Wie Sonnenlicht durch Wolken bricht.“

Steinskulptur

Wo, zur Hölle

Wo, zur Hölle, soll ich beginnen? War das jetzt gerade nur eine Woche oder war das ein ganzes Jahr?

Gerade bin ich mit meinen supersuper Kopfhörern zu White Winter Hymnal in meiner Küche rumgehüpft. Meine Nachbarn von gegenüber, die im umgebauten Hotel wohnen, werden wohl gedacht haben…

Gestern hat mir Gotte Miau von Annie Clark erzählt. Annie Clark war eine Patientin in den 60er Jahren in einem Spital in London. Gotte Miau war noch jung und hat im Labor des Spitals gearbeitet. Annie Clark hatte Krebs und man konnte nichts mehr für sie tun. Deshalb hat man sie nach Hause geschickt, ihre Tochter war gerade hochschwanger und man dachte sich, dass sie besser die Zeit mit ihrer Tochter verbringt als im Spital. Man entliess Annie Clark mit dem Hinweis, dass sie in einem halben Jahr für einen Kontrolltermin wiederkommen solle. Man war sich sicher, dass sie diesen Kontrolltermin nicht wahrnehmen würde. Als der Tag gekommen war, überlegte sich Gotte Miau, ob sie die Laborkarte für Annie Clark überhaupt bereitlegen solle. Sie tat es, sie sagte sich, dass das Bereitlegen der Karte eine Form von Ehrerbietung sei, denn Annie Clark war sehr süss und nett. Zur besagten Zeit erschien Annie Clark pünktlich zum Termin. Gotte Miau sagte, dass sie noch nie und auch nie wieder in ihrem Leben solche schlechten Blutwerte gesehen hätte. Normalerweise sei man mit solchen Blutwerten tot. Annie Clark aber lebte, da es für sie selbstverständlich war den Kontrolltermin einzuhalten.

Und mir soll nun einer sagen, Einstellung würde keinen Einfluss haben. Ha!

Ohne Körper und ohne Geist

Sie waren drei Monaten – um genau zu sein, zwei Monaten und 24 Tage – zusammen. Sie hatten einen etwas drückenden Abend verbracht, er hatte gesagt, er sei nicht sicher, ob sie bei ihm übernachten könne, er sei sich seiner Gefühle nicht ganz klar. Sie hatte ihn angesehen, so als würde sie versuchen ihn nicht anzusehen. Sie nickte. Er dachte, er hätte die Überhand, er könnte sich am nächsten Tag melden und sie würde mit banger Stimme seinen Anruf entgegennehmen. Sie würde lachen, ganz ausser sich, wenn er ihr mitteilen würde, er sei sich nun doch (einigermassen) sicher. Stattdessen beantwortete sie seinen Anruf nicht. Er dachte sich nichts dabei und versuchte es abends wieder. Auch da – nichts. Nur ihre seltsam helle Stimme auf dem Anrufbeantworter. Er hängte auf, schreib stattdessen eine Nachricht. Gespielt cool, aber süss – wie er fand. Er sah, dass sie die Nachricht zweiundvierzig Minuten später gelesen hatte. Und antwortete nicht.
Er dachte, sie sei vielleicht noch etwas eingeschnappt, da er sie am Abend zuvor um dreiundzwanzig Uhr alleine heimgehen liess. Er dachte, sie würde wohl versuchen ihn etwas zappeln zu lassen. Er ging früh schlafen, um am nächsten Tag fit zu sein, er wollte zum Sport. Morgens hinterliess er eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, um ihr zu sagen, dass er zum Sport ginge und sie doch nachher auf ein Frühstück bei ihm vorbeischauen solle. Er hatte am Tag zuvor eingekauft. Sie hatten das schon einige Male so gemacht. Er ging zum Sport und wenn er nach Hause kam, sass sie schon auf den Stufen vor seinem Haus und rauchte. Er mochte das Bild von ihr, wie sie auf ihn wartet. Doch an diesem Tag fand er die Treppe leer vor. Er war sehr erstaunt darüber. Sie hatte auch keine Nachricht hinterlassen. Er schrieb erneut. Diesmal etwas stinkig aber doch versöhnlich. Sie las seine Nachricht diesmal erst drei Stunden später. Keine Reaktion. Da kam bei ihm das erste Mal Panik auf. Eine Panik, die ihn seit da begleitete.

Er stellte fest, dass er nicht genau wusste, wo sie wohnt. Sie waren immer bei ihm gewesen, da er fand, dass er ihre Mitbewohnerin noch nicht kennenlernen wolle. Ausserdem hätten sie bei ihm ihre Ruhe. Er musste zugeben, dass er es auch angenehmer fand, er fühlte sich einfach sicherer in seiner gewohnten Umgebung. Sie hatte ihm das Haus, wo sie wohnte, beim vorbeifahren mal gezeigt, doch er war sich nicht sicher, welches es genau war. Er hatte also keine Adresse. Nur eine Telefonnummer. Sie hatten auch nie Profile oder ähnliches ausgetauscht. Er fand das irgendwie postmodern lässig sich eben ohne das ganze digitale Drum und Dran anzunähern. Sie hatte nie danach gefragt. Als er nun zu suchen anfing, stellte er fest, dass er mit ihrem Vor- und Nachnamen nach der Nadel im Heuhaufen suchte. Sie hatte eine Allerweltsnamen. Zudem gab es eine halbwegs berühmte Snowboarderin mit dem selben Namen. Er suchte gründlich und fand nichts. Er schrieb erneut, diesmal ehrlich verzweifelt. Er rief an, mehr als einmal. Sie antwortete nicht. Er stellte fest, dass es immer länger ging, bis sie seine Nachrichten gelesen hatte. Manchmal dauerte es sogar Tage.

Er machte sich Sorgen, verfiel in eine tiefe Angst, dass jemand ihrer Familie die Nachrichten las, ihn jedoch nicht kannte. Und sie derweil im Spitalbett um ihr Leben kämpft. Doch er kam von dieser Erklärung ab. Wenn jemand anderer seine Nachrichten lesen würde, dann würde er irgendwann antworten. Auch, dass sie ihr Handy verloren haben könnte, verwarf er, da sie ja wusste, wo er wohnt.

Er fuhr mit dem Fahrrad frühmorgens zu dem Haus, von dem er dachte, dass es das ihrige sei. Niemand mit ihrem Namen war dort angeschrieben. Er suchte auch die Klingeln von den umliegenden Häusern ab, fand jedoch nichts. Er lungerte an einer Ecke rum, in der Hoffnung, sie würde aus einem der Häuser kommen, um zur Arbeit zu gehen. Sie kam aus keinem Haus.

Dann begann er damit, jeden Abend die Bar zu besuchen, in der sie sich kennengelernt hatten. Zudem alle anderen Orte, an die er sich erinnerte, über die sie mal erzählt hatte. Er rief auch bei der grossen Firma an, bei der sie arbeitete. Man sagte ihm, man gäbe keine Auskünfte über Mitarbeiter, als sich herausstellte, dass es verschiedene Mitarbeiterinnen mit dem selben Namen gab und er die Frage nach der genauen Abteilung nicht beantworten konnte.

In seltenen Fällen wich die Panik vollkommen der Wut. Diese Momente waren sehr befreiend, sie schmerzten weniger. Eine schmucklose Ratlosigkeit hatte sich in seinen Körper eingegraben. Seine Haut wurde mit den Tagen und Wochen grauer. Er konnte nicht verstehen, was passiert war, warum sie nicht mit ihm sprach. Anfänglich hatte er sich zurückgehalten mit den Anrufen und Nachrichten. Dann kam eine Phase der Raserei. Er rief sie ununterbrochen an. Zwei Tage später war die Nummer tot. Nun konnte er nicht mal mehr ihre helle Stimme auf dem Band hören. Er hätte sich am liebsten die eigene Faust ins Gesicht gepfeffert, war es doch das einzige, was ihm geblieben war.

Schöne, stille, seltsame Tage

hello-brainBei unseren Nachbarn im Haus gegenüber hat es gebrannt. Ich war vorgestern mit N. was trinken, er hat mich ja via altmodischer Postkarte zum Treffen geladen. Ich habe meinen Hasenbommel, den ich an den Weihnachtsfeier verloren habe, zurückerhalten. Mit Häschen war ich mittags in unserer Lieblingsbar und hab Prosecco getrunken. Mein kleiner Neffe, er ist drei Jahre alt, war zu Besuch und hat aus dem Nichts zu mir gesagt: „Du schaffst das, Du schaffst alles!“.

Schöne, stille, seltsame Tage.

N. hat mir von seiner Reise nach Nepal und Japan erzählt. Wenn man jemanden schon so lange kennt, dann hört man ihm zu, sieht ihm dabei aber auch beim Sprechen zu. Ich habe mich gefragt, ob dieses kleine Verziehen seines Munds beim Sprechen schon immer da war oder ob das neu ist. Es ist heute irgendwie deutlicher. Als ich auf ihn wartete, habe ich mich gefragt, ob er sich sehr verändert hat. Und ich habe mir den negativen Fall, sowie auch den positiven Fall ausgedacht. Der positive Fall ist dann glücklicherweise eingetroffen. Wir haben uns dann auch über Vergangenes unterhalten, er hat mir unter anderem eine Geschichte erzählt, die er mir schon oft erzählt hat und die ich damals mit ihm miterlebt habe. Heute erzählt er die Geschichte völlig anders als früher und ich selbst erinnere mich anders an sie. Ich habe mich gefragt, ob meine Erinnerung falsch ist oder seine. Wahrscheinlich beide. Das ist schon seltsam mit der Erinnerung. Man legt sich ein Bisschen was zurecht. Anfänglich weiss man das, es klingt einfach besser, wenn man es mit anderen teilt. Dann glaubt man irgendwann daran, schiebt da noch was nach links und dort was nach rechts. Dann lässt man ein, zwei Sachen weg und fertig ist die erinnerte Wahrheit. Aber wahrscheinlich ist das ja auch gut so. Wir würden anders nicht überleben, glaube ich.

Seit den 1960er Jahren ist ausserdem bekannt, dass der blosse Akt einer Gedächtnisreaktivierung eine Erinnerung kurzzeitig anfällig oder «labil» macht. In diesem labilen Zustand ist eine Erinnerung für Störungen anfällig und wird dann unter Umständen in veränderter Form erneut abgespeichert.“ (Erinnerung ist manipulierbar, NZZ)

Es könnte also sein, dass sich die Erinnerung von N. alleine durch die erneute Erzählung bereits schon wieder verändert hat.

Ich habe zum Beispiel letzthin herausgefunden, dass eine Erinnerung, die ich habe und an die ich felsenfest geglaubt habe, völlig verkehrt ist. Ich habe immer behauptet, ich hätte den Silvester vom Jahr 1999 auf das Jahr 2000 mit meinem Vater verbracht. Durch Zufall hab ich darüber wieder mal nachgedacht und durch die Rekonstruktion von Jahreszahl, dem Ort, etc. dann gemerkt, dass es unmöglich sein kann. Das war lustig. Ich konnte es nicht fassen. Aber die Erinnerung ist ganz klar falsch. Natürlich (beziehungsweise: sehr wahrscheinlich) habe ich einen Silvester mit meinem Vater und einer willkürlich angesammelten Gruppe anderer Menschen in seltsam angespannter Stimmung verbracht. Aber nicht den Silvester 99. Wo ich den Silvester 99 verbracht habe, weiss ich nicht. Aber ich werde mir eine neue, abenteuerliche Geschichte ausdenken und diese dann als Erinnerung ablegen. Sogehtdas.

Notfallmodus

All Drama must remain on the Stage

All Drama must remain on the Stage

Es ist schon verrückt, wie man den Notfallmodus in jeder Faser trägt. Hat man den einmal gelernt, ist der drin, den wird man nicht wieder los. Man bekommt eine Nachricht, blinzelt zwei Mal und dann fühlt man, wie sich etwas einrastert, wie der Schalter umgelegt wird und man ist drin und funktioniert. Man nimmt das Telefon zur Hand, macht diese Anrufe. „Ist es ok, wenn Du auf Abruf bist?“, „Könntest Du eventuell fahren?“, „Wir machen es so: Du gehst dahin, ich dorthin.“, „Ich übernehme das und du dafür das andere, ok?“. Und dann immer wieder zwischendurch das bange Warten, auf die Meldung, auf den hoffentlich erlösenden Anruf.

Man lässt alles stehen und liegen. Es ist nichts mehr wichtig. Was drei Minuten vorher noch von enormer Wichtigkeit war, ist fort. Einfach weggeblasen und in den kurzen Momenten des Harrens, ist man ganz verwundert, dass einem das gerade noch beschäftigt hat. Man versucht sich abzulenken und während man es versucht, fühlt man die Angst aufsteigen. Und flüstert gebetsmühlenartig vor sich hin. „Bitte, bitte, bitte, bitte nicht.“

Und dann: Entwarnung. Man möchte die Welt umarmen, jedem in die Arme fallen. Und ist gleichzeitig bis auf die Knochen erschöpft.

Herr Sommer?

Wenn mir langweilig ist, zum Beispiel in der Strassenbahn, liebe ich sie, die kleinen Gedankenspiele mit der Zeit. Dann fühlt es sich so an, als ob Zeit ein reines Konstrukt wäre und ich jede Zeitachse übereinander legen könnte. Ich sehe mich selbst dann an diesem Ort vor ein paar Jahren, ich überlege mir, wie es wäre, wenn ich mir selbst ins Gesicht blicken könnte. Ich sehe Menschen, die ich kenne, in Zukunft und in vergangenen Bildern.

Heute war ich früh wach. Nachdem ich meine Geschäftsmails geordnet und meinen morgigen ersten Arbeitstag im neuen Jahr vorbereitet hab, zog ich meine Jacke an und ging spazieren. Mit Musik in den Ohren lief ich am See entlang, durch den dunklen Park, hoch zur Villa mit Blick über die Stadt. Es ist mir kein einziger Mensch begegnet, ausser ein alter Mann, der strengen Schrittes die Strasse entlanglief. Ich habe also mein Zeit-Spiel gespielt und mich gefragt, ob dieser alte Mann jemand sein könnte, den ich heute kenne, dessen Zukunft jetzt aber – durch eben dieses Übereinanderlegen der Zeit – für mich sichtbar wird. Vielleicht blickt er mich an und denkt „Lustig, die Frau hier sieht aus wie jemand, den ich vor langer Zeit mal gekannt habe“. Ich betrachtete seine Gesichtszüge und fragte mich, ob er glücklich ist. Ob er noch immer Abenteuer erlebt, ob er ausgelassen tanzt, ob er zu Hause jemanden hat, der unter der warmen Bettdecke auf seine Rückkehr wartet. Ich beschloss, dies alles anzunehmen und lächelte. Er erwiderte mein Lächeln.

(Für immer eingebrannt, wenn es sich um alte Männer handelt, die strengen Schrittes gehen, die man von Weitem sieht, hat sich dieser Text: Die Geschichte von Herrn Sommer. Wenn noch nicht gelesen, dann sowas von extrem unbedingt nachholen!)

Entscheidungsmuster

Was ich gestern ganz vergessen habe: Falls Du mal einen neuen Duft brauchst und keine Lust auf einen Supermarkt-von-der-Stange-Parfum hast, Du zufällig in Zürich bist und Dich zudem noch echt gut beraten lassen möchtest, dann geh dahin: Süskind Store. Ein echt super Laden mit super Leuten. Wenn Du mal Deinen eignen Duft kreieren möchtest oder einfach mal mit dem Mischen von Düften experimentieren willst, dann gibt es hier die Möglichkeit. Und wenn Du dann einen Workshop bei Till aussuchst, dann kann nix mehr schiefgehen. (Till ist nämlich einfach grossartig!)

Mein Vater schrieb mir vorgestern eine Mail. Du musst wissen, dass ich selten Kontakt zu ihm habe, da er immer irgendwo auf der Welt unterwegs ist und ein flatterhaftes Zigeuner-Herz sein eigen nennt. Er schreibt, dass wir oft in Mustern existieren und diese nicht hinterfragen und unsere Entscheidungen aus diesen Mustern heraus treffen, obwohl es sich anschicken würde diese Muster – gerade vor wichtigen Entscheidungen – zu hinterfragen. „Ich jedenfalls habe rückblickend auf so viele Jahre, enorm viele falsche Entscheide getroffen.“ Mich hat diese Mail gefreut. Ich lese darin auch sowas wie Bedauern, was ich nachvollziehen kann, was aber eigentlich gar nicht nötig ist. Wir machen alle Fehler. Das einzige Wichtige ist nur, wie wir heute damit umgehen. Ich hab dann zurückgeschrieben: „Du hast Recht, es ist nur nicht immer ganz einfach, wenn man mitten im Strudel der täglichen Kleinigkeiten steckt. Jeder ist fehlerhaft, das ist ja auch gar nicht schlimm. Hauptsache man trägt sein Herz immer mal wieder offen und versucht mit den Möglichkeiten, die sich gerade bieten, behutsam umzugehen.

In diesem Sinne, auf ein behutsames 2019, auf dass es mit Glück und Kraft gesegnet sein wird!

onions

One day I gonna make the onions cry

Dufte!

Meine Nase hat mich schon in Teufels Küche gebracht. In meiner Familie ist der Geruchsinn äusserst ausgeprägt, beziehungsweise wir werden von Klein auf darauf aufmerksam gemacht, in gewisser Weise geschult. Ich rieche wer vor mir in einem Raum war, wessen Pullover das ist, der liegen geblieben ist, wer gestern Alkohol getrunken hat. Ich musste eine Arbeitskollegin auch schon bitten, ihr Parfum zu wechseln, weil mir das ihrige den Magen umdrehte. (In dem Fall war es Glück, dass die meisten Menschen, was die Wahl ihres Dufts anbelangt, nicht gerade wählerisch sind. Was mir unverständlich ist. So Aussagen wie: „Ich hab einige Parfums und nehme am Morgen einfach eins“, lösen in mir jeweils ein inneres, hysterisches Kichern aus.)

Es gibt Gerüche, die verbinde ich unweigerlich mit bestimmten Orten, Zeiten und Gefühlen. Da ist der Duft des Oliven-Duschmittels, das ich in England benutzte. Ich verbinde diesen mit Kälte, Abenteuer und grosser innerer Ambivalenz. Der Geruch von Rohbeton (wie er in Neubauten vorkommt), in dem ich baden könnte, so sehr liebe ich den. Oder wenn die Sonne im Sommer die Wohnung aufheizt und das Holz des Parkettbodens nach Geborgenheit und Fröhlichkeit riecht, könnte ich die Welt umarmen.

Vor ein paar Tagen waren wir zu Gast bei einer Familie. Im Entrée hat die Hausherrin so Duft-Räucherstäbchen platziert. Meine Jacke riecht seit da danach und der Geruch überträgt sich auf meinen Pullover, wenn ich die Jacke getragen habe und ich finde das ganz unerträglich. Aber ich krieg den irgendwie nicht raus. Wahrscheinlich muss ich die Jacke verbrennen.

Ein Arbeitskollege von mir, er ist süsse 22 oder 23 Jahre alt, trägt immer, wenn er in den 8. Stock geht, um dort Abklärungen zu tätigen, ein Schokoladenparfum auf. Wie immer bei solchen Parfums riecht es nicht wirklich nach Schokolade (weil es nicht möglich scheint einen Duft zu kreieren, der nach echter Schokolade riecht), sondern nach dem allgemein gültigen Abbild von Schokolade, das uns beigebracht wurde. Wie es in Joghurts oder ähnlichem vorkommt. Wir wissen, es soll Schokolade darstellen, wissen aber eigentlich genau, dass es definitiv keine Schokolade ist. (Erdbeere ist auch so ein Fall. Einfach grauslig dieser künstliche Erdbeergeruch.) Er trägt also dieses Abziehbildchen von Parfum auf und geht in den 8. Stock. Ich habe ihn gefragt, wer denn diese Dame sei, die er betören wolle. Er hat mich angesehen, als sei ich ein Geist. Woher ich denn das wisse? Dazu muss man sagen, dass es ziemlich clever ist von ihm und ich so viel Geruchs-Verstand selten bei Menschen antreffe. Wenn man es aber einmal durchschaut hat, ist es natürlich auch sehr, sehr vorhersehbar und somit auch ein wenig langweilig. Aber ganz süss!

Hunderttausend Düfte schienen nichts mehr wert vor diesem einen Duft. Dieser eine war das höhere Prinzip, nach dessen Vorbild sich die anderen ordnen mußten. Er war die reine Schönheit.“ (Patrick Süskind: Das Parfum)

Wachen, lesen, lange Briefe schreiben

Gestern hatte ich eine Karte im Briefkasten. Von N., einem alten Freund. Ich hab ihn sicher drei Jahre nicht mehr gesehen. Er schreibt, er komme gerade von einer Reise zurück und da sei ihm der Gedanke gekommen, dass er nun genug zu erzählen hätte, um einen Abend zu füllen. Dazu ein Datum, eine Uhrzeit und einen Ort. Das fand ich sehr lustig und süss, da das in diesen Tagen eine ganz ungewohnte Form der Kommunikation ist. Ich werde mich also einfinden am Ort und der Zeit.

Erinnerst Du Dich? Früher haben wir Briefe geschrieben. Ich habe noch ganze Kisten voll von Briefen zu Hause. Vor ein paar Jahren hab ich mich mit meiner ersten grossen Liebe getroffen, um unsere alten Briefe zu lesen. Wir haben sehr gelacht, es war schön. Wir haben uns an unserem Ort getroffen, hinter einem Museum mitten in der Stadt. Du musst wissen, dass wir unsere Liebe geheim halten mussten, da seine Eltern dagegen waren. (Man könnte meinen, ich sei in West Side Story aufgewachsen.) Wir hatten also einen geheimen Ort, wo wir uns immer trafen. (Ein schöner Ort, wahnsinns Aussicht!) Ich konnte ihn ja zu Hause nicht anrufen, da die Wahrscheinlichkeit gross war, dass seine Eltern oder sein älterer Bruder ans Telefon gingen. Einzig seine kleine Schwester war unsere Komplizin. Da sie im selben Schulhaus zur Schule ging, wie ich, überbrachte sie mir jeweils seine Briefe morgens vor dem Unterricht. Ich schrieb dann während der Schule zurück und übergab ihr dann nachmittags meinen Antwortbrief.

Irgendwann – nach etwa sechs Jahren der Heimlichtuerei, des Zitterns und Zauderns – beendete ich die Beziehung und zog von zu Hause aus. Ich zog in einen anderen Stadtteil, in ein ehemaliges Bordell zusammen mit Freunden. Ein ganzes Haus nur Wohngemeinschaften, keiner älter als 25. Aber das ist eine andere Geschichte…