Tiger, Tiger

Es gibt da ein Gedicht von William Blake, das mir am Wochenende ins Ohr geflüstert wurde: „Tiger, Tiger, Feuerspracht… In welch‘ Himmeln ungeheuer brannte Deiner Augen Feuer? …“

Müsste man den Montag in einem Bild ausdrücken...

Müsste man den Montag in einem Bild ausdrücken...

Ich habe mich im Nebel auf der Rigi verloren (er stand so dicht, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sah), trank fruchtigen Wein (als wär es Sommer und ein Feuerstreifen am Horizont), rannte mir die Seele aus dem Leib (mit Blick auf den See – als wären meine Augen und die Wasseroberfläche mit Fixkleber aneinander gemacht). Und im Ohr: „Tiger, Tiger…“ Wenn ich all die Herzen in meiner Brust zählen müsste, wär ich verloren.
Montage eignen sich einfach nicht fürs Leben. Sie sind total ungeeignet, um einigermassen klar zu denken. Der Montag und ich sind einfach keine Freunde. Der Montag ist wie zwei Katzenaugen im Dunkeln. Lauernd. Beobachtend. Und verheisst nichts Gutes.

Tiger, Tiger, Feuerspracht
in der Dschungeln dunkler Nacht:
Welches Aug‘, welch‘ ew’ge Hand
formten Deiner Schrecken Brand?

In welch‘ Himmeln ungeheuer
brannte Deiner Augen Feuer?
Wessen Flügel, wessen Hand
wagte sich an diesen Brand?

Welcher Schulter Können wand
Deines Herzens Sehnenstrang?
Wer, als Herzens Schlag begann,
furchtbar Hand und Fuß ersann?

Welche Kett‘ und Hammer fand
in welch‘ Esse den Verstand?
Welcher Amboß, welche Welt
Deine Todesschrecken hält?

Als der Sterne Speer herab
Tränen unserm Himmel gab:
Hat vollbracht er’s und bedacht,
daß er Lamm und Dich gemacht?

Tiger, Tiger, Feuerspracht
in der Dschungeln dunkler Nacht:
Welches Auge, welche Hand
wagten Deines Schreckens Brand?

(Der Tiger von William Blake)

Hasenherz in HH

Hasenherz wird nächstes Wochenende nach Hamburg fahren. Hasenherz freut sich sehr darauf. Hasenherz wird dann alte Freunde treffen. Hasenherz hat ihrem Vertrauenskollegen damit gedroht im Schanzenviertel Finnmusic zu hören. (Was natürlich ein Scherz war. Aber ein sehr lustiger. Ihr hättet das Entsetzen in seinem Gesicht sehen sollen. Und es ging nicht um die Musik.) Hasenherz wird während der Bahnfahrt ein Lied immer und immer wieder hören. Das hat Tradition. Hasenherz wird alte Liebesbriefe in die Alster werfen (auch das hat Tradition). Hamburg hat nämlich eine heilende Wirkung auf Hasenherz. Würde Hasenherz in Deutschland leben, dann hätte sie nix gegen Hamburg. Hasenherz wird sich darüber amüsieren, dass einige Hamburger ihren Dialekt für Estnisch (oder eine andere, sehr fremde Sprache) halten werden. Hasenherz wird in Hamburg Zeit haben, um nachzudenken. Hasenherz ist überzeugt, dass Hamburg sie vom Zombiestatus befreien wird. Hasenherz wird nächstes Wochenende nach Hamburg fahren. Hasenherz freut sich sehr darauf.

„Hier kann man chillen, machen was man will. Und da bei euch im Süden von der Elbe, da ist das Leben nicht dasselbe. Denn da im Süden von der Elbe, da sind die Leute nicht dasselbe. Ich sag im Süden von der Elbe, da sind die Menschen nicht dasselbe. Denn da im Süden von der Elbe, sind die Gedanken nicht dieselben.“ (Absolute Beginner – City Blues)

Dando gritos

Das passiert, wenn man mir einen Edding und Zeit zur Verfügung stellt.

Das passiert, wenn man mir einen Edding und Zeit zur Verfügung stellt.

Es gibt da eine Gedichtzeile von Pablo Neruda, die mir heute nicht aus dem Kopf geht: Venid conmigo al día blanco que se meuere dando gritos de novia asesinada. (Tretet ein mit mir in den weissen Tag, der da stirbt unter Schreien wie eine ermordete Braut.) Ein gutes Motto für diesen Tag.

„Ich liebe es, dich im Coop zu küssen.“, hab ich heute gesagt, zwischen Büchsenravioli und Petersilie. Mit meinen hohen Hacken (die ich heute trage, um mir zu beweisen, dass ich noch immer da bin und lebe) bin ich fast so groß wie du und schaue dir direkt in die Augen.

Vor zehn Jahren, als ich genau jetzt (exakt zu dieser Uhrzeit, exakt an diesem Tag) aus diesem Haus strauchle und völlig neben mir den Hügel hinab Richtung Limmat torkle, hätte ich nie gedacht, hätte es nicht für möglich gehalten, dass es je wieder möglich sein wird im Coop zwischen Büchsenravioli und Petersilie zu einem Menschen zu sagen: „Ich liebe es, dich im Coop zu küssen.“
Und darum nun das letzte Mal (und dann ist gut): Danke für dieses zweite Leben, danke für diese zusätzlichen zehn Jahre, danke für all die Freundschaft und Liebe, danke für die Schönheit und ganz besonders danke für den Schmerz (denn dieser zeigt mir, dass ich am Leben bin und noch immer atmen darf). Ich bin der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt. Auf weitere zehn Jahre!

Wo der Donner grollt und Dinge verschwinden

Während meinen Ferien hab ich mich durch den Enquist gekämpft. War ziemlich anstrengend. Dieser fast schon religiöse Wahnsinn, dem „der Untersucher“ im Lauf des Buches anheimfällt, ist streckenweise kaum aushaltbar.  Dann hab ich „Der Vampir von Ropraz“ gelesen. Hat mir sehr gut gefallen! Ausserdem gelesen und für gut befunden: „Frühstück bei Tiffany„, „Parasiten-Person“ und „Die Schule der Frauen„. Einzig mit „Der Sommer ohne Männer“ hatte ich etwas Mühe (haha!). Ganz lustig und erstaunlich warmherzig fand ich „Das Ghetto-Sex-Tagebuch„.

Ein Zitat aus „Frühstück bei Tiffany“ hat mich sehr an mich in meinem diesjährigen Frühling erinnert: „Verlieben Sie sich nie in ein wildes Geschöpf, Mr. Bell“, riet Holly ihm. „Das war Docs Fehler. Er hat immer wilde Geschöpfe nach Hause geschleppt. Einen Habicht mit einem verletzten Flügel. Einmal einen ausgewachsenen Rotluchs mit einem gebrochenen Bein. Aber man darf sein Herz nicht an wilde Geschöpfe verlieren: je mehr man es tut, desto stärker werden sie. Bis sie stark genug sind, in den Wald zu laufen. Oder auf einen Baum zu fliegen. Dann auf einen höheren Baum. Dann in den Himmel. So werden Sie enden, Mr. Bell. Wenn Sie nicht aufpassen und sich in ein wildes Geschöpf verlieben. Am Ende stehen Sie da und schauen in den Himmel. (…) Viel Glück: und glaub mir, liebster Doc – es ist besser, in den Himmel zu schauen, als dort zu leben. Solch ein leerer Ort; so trüb. Bloss ein Land wo der Donner grollt und Dinge verschwinden.“

Heute habe ich von Sabine Dörlemann, Verlegerin des Dörlemann Verlags, eine Mail bekommen, dass Sir Patrick Leigh Fermor verstorben ist. Traurig. Ich mag seine Bücher. Der Schlusssatz des Mails hat mich sehr traurig gemacht und gleichzeitig irgendwie hoffnungsfroh. Als ob gerade die Traurigkeit unendlich viel grössere Schönheit bergen würde: „Möge die Erde ihm leicht sein.“

Letzte Woche – als mich der Arbeitsalltag wieder einholte und die Müdigkeit Tag für Tag schwerer wog – hab ich unterwegs gerne die Gesichter der Menschen betrachtet, die zufällig an mir vorübergingen. Die kleinen Bewegungen – das leise Zucken der Mundwinkel, das Entgleisen der Augenpartie, die Hand, die gedankenverloren auf das Knie trommelt, der für Sekunden durchgedrückte Rücken, die Zähne auf der Unterlippe – haben mich sehr fasziniert. Ich habe mich gefragt, wer von diesen Menschen gerade glücklich ist und wer morgen nicht mehr sein wird. Und etwas wusste ich: Man muss sehr gesund sein, um Menschen so genau ansehen zu können. Man muss ausgeruht sein und froh.

Frohe Ostern!

Ostern. Mein Lieblingswochenende im Jahr. Weil oft das Wetter so schön ist, der Sommer vor der Tür steht und das schon völlig ausreicht, um glücklich zu sein.
Diese Ostern hat mit einer fulminanten Hasenparty begonnen, die dem Namen alle Ehre machte. Am Karfreitag dann ein schöner Glitzerlichterabend. Karfreitag eignet sich vorzüglich, um Beziehungen zu beenden oder zu festigen. Dieses Jahr glücklicherweise bei mir zweiteres. Ostersamstag ein Konzert in der Provinz mit anschließender Backstageparty. Wo der Sänger der schwedischen Band sagte, ich sähe wie eine Schwedin aus, ich sähe wie Heimat aus. Morgens um 5 schenkte mir ein Zugbegleiter das umwerfendste Lächeln von einem Fremden seit langem.
Ostersonntag gewann ich das Eiersuchen knapp mit einem Ei Vorsprung. Dann wurde ich von einem deutschen Alien heimgesucht, den ich aber irgendwie – oh Wunder! – zu mögen scheine. Heute Flausen und Kaffee. Gute Kombination! Hab ich’s schon gesagt? Ich liebe Ostern. Hahaha!

Nicht ohne Donnerknallen

Sommer-Oster-Hasen-Fondue

Sommer-Oster-Hasen-Fondue

Wahnsinnswochenende. Warmeswochenende. Teufelszeug. Wir sind in die Welt gezogen und haben das Abenteuer gesucht. Ich war beweglich wie nie und voller Lebenslust. Es war, als wäre ich auf Dauerspeed. Ich brauchte keinen Schlaf, keine Erholung, keine Pause. Alles fiel mir leicht. Rausraus! Loslos!

Am Donnerstagabend genoss ich Hacker-Pschorr und gute Gesellschaft. Mir wurde der Rücken massiert, so, dass ich die Hände noch bis Sonntag „mitgetragen“ (sprich: auf meinem Rücken gefühlt) habe. Freitag mit viel Sonne und dann Geschäftsapéro. Badana hat mich begleitet und meine Gschpändlis kennengelernt. Töbs war zum Schluss so betrunken, dass er seine Schulunterlagen (er wollte noch „Französisch lernen“) quer über den Restaurantgarten verteilte. Dann zogen Badana und ich in die Provinz, wo wir ein fantastisches Geburtstagsfest feierten. In einem seltsamen Provinzlokal mitten in der Industrie, es glich einer Höhle, hab ich meine Flirttaktik ausprobiert und wurde danach als „krass“ bezeichnet (mit der Erklärung: „aber gut krass“). Ein paar laaaaaaaaange Stunden später sassen wir morgens um sechs am Bahnhof, warteten auf den zweitersten Zug (den ersten hatten wir verpasst) und machten Bekanntschaft mit den anderen Gestrandeten der Nacht. Nach einer abenteuerlichen Heimfahrt fiel ich um 8 Uhr todmüde ins Bett. Am Samstag waren wir bei unserem vortrefflichen Herrn Cousin zum Sommerfondue geladen. Ein wirklich sehr, sehr lustiger Abend! Bezaubernd. In der zweiten Heimat dann sprachen wir über die verschiedenen Stimmen in uns drin und wie diese wohl heissen würden, wenn sie Namen hätten. Altbekannte wie der Dr. Fritz und das Advokatenpelztier oder aber Frieda & Wanda waren natürlich mit dabei. Am Sonntag fuhr ich nach Basel und gleich wieder zurück und dann, dann trat das Wochenende gebührend ab. (Nicht ohne Donnerknallen.)

Wir Kinder im Juli geboren

Wir Kinder im Juli geboren
lieben den Duft des weißen Jasmin,
wir wandern an blühenden Gärten hin
still und in schwere Träume verloren.
*
Dass das Schöne und Berückende
Nur Hauch und Schauer sei,
dass das Köstliche, Entzückende,
Holde ohne Dauer sei.
*
Ich habe einen Verehrer. Daniel kommt aus dem Kongo und als er mich das erste Mal ansprach, sprach er kein Deutsch. Wir unterhielten uns auf Französisch. Ab und zu treffe ich ihn in der S-Bahn oder am Bahnhof und er fragt mich jedes Mal, ob ich mit ihm Kaffee trinken wolle. Und ich sage jedes Mal nein. Er versteht nicht wieso, erzählt mir von den Bergen im Kongo, von den Wochenenden dort und der Musik. Heute habe ich ihn wieder getroffen und wie jedes Mal sagte ich: „Nein, ich werde nicht Kaffee trinken kommen und nein, auch nicht tanzen. Du fragst warum? Weil ich in meiner Welt gefangen bin.“ Er spricht vom Herzen, von schlafloser Nacht und blickt mich mit schwarzen Augen an. Ich lache und zucke mit den Schultern, es ist mir unangenehm. Was soll ich sagen? Soll ich von der Verschiedenheit reden? Von Bildung, Sprache, Kultur oder gar von Geld? Soll ich vom Geruch reden? Von den mitleidigen Blicken, die mir zugeworfen werden?
Es macht mich traurig, wenn ich erkennen muss, dass meine Welt lächerlich beschränkt ist. Dass meine Toleranz nicht weiter reicht, als zum Mailänder Dom. Ich hasse es, wenn ich die Angst vor der Fremde in mir hochkriechen fühle. Und frage dann lächelnd, wie lang die Reise in den Kongo dauert. „9 Stunden“, sagt Daniel „du würdest sie lieben, die Berge.“

Ungebremst

Ich bin ja eine sehr neugierige und verspielte Person. Ich liebe es, mein Gegenüber herauszufordern. Ein bisschen Provokation hilft ja, den langweiligen Alltag zu überstehen. Das funktioniert besonders gut beim anderen Geschlecht. Natürlich. Meistens läuft das dann sehr harmlos und nett ab. Diese kleinen Alltagsflirts machen mich ungemein fröhlich und heiter und geben mir gerade bei der Arbeit sehr viel Motivation. Meine Kollegen sind sich das von mir bereits gewohnt und lassen sich gern darin verwickeln. Alles soweit nicht der Rede wert. In ganz seltenen Fällen entwickeln sich diese Flirts zu was Handfestem, was mir Schelte von meinen Freundinnen einbringt und mich über die Jahre vorsichtig werden ließ. In noch selteren Fällen mutieren diese Flirts mit Schallgeschwindigkeit zu Seltsamkeiten. Das ist gerade eben der Fall. Mein Gegenüber reagiert mit unendlicher Dehnbarkeit auf meine Provokation. Er gibt null Gegendruck. Er nimmt mich ernst. Lässt mich ins Leere laufen, lächelt hörbar. Es ist, als ob man mit einem Schnellzug über eine Klippe fährt. Und sich dann im freien Fall wundert: Hätte da nicht gerade die Notbremse gezogen werden sollen? Hätte da nicht ein Rammbock sein müssen? Verdammt.

Das ist natürlich sehr erstaunlich. Auch ganz spannend, klar. Wenn ich mir da nur nicht die Finger verbrenne. Jemand sollte dringend zur Vorsicht mahnen.

Überraschung

Es gibt die Momente. Diese magischen Augenblicke, die man mit niemandem teilen kann, weil sie im Stillen geschehen. Heimlich. Klamm. Unverwandt. Es ist dann, als würde man unter warmes Wasser tauchen, als wäre man umgeben von Stille, inmitten von Hektik. Das ist jetzt gerade so ein Moment. Mir gehört die Welt.

Ein schöner Abend. Mir stand der Sinn nach Abenteuer und die Reise ging ins Innere, welch Überraschung. Und dann sitze ich im Zug, werfe einen Luftkuss nach draußen – es ist die natürlichste Geste der Welt – schalte meinen iPod ein und höre ein Lied, dass ich noch nie zuvor gehört habe, es passt perfekt, hat keinen Text, ich habe keine Ahnung, von wem es ist. Es ist wohl ein Geschenk. Wohl eine Überraschung. Danke. Gerade bin ich glücklich.