Cause there’s a million ways to go

Wie kann man Dankbarkeit ausdrücken? Gar nicht so einfach, denn die Worte des Dankes klingen schnell mal platt und abgedroschen. Wie soll ich Dich nennen? Schicksal? (Wohl eher nicht.) Zufall? (Viel eher, ja.) Ich habe Dich nicht erwartet, ich habe es nicht (mehr) erwartet. Wenn ich mir Dich vorstellen müsste, dann wärst Du ansehnlich und würdest mich mit Deinem Lachen in die Knie zwingen. Du wärst das Puzzle-Teil, das gefehlt hat, um etwas in mir zu reparieren. Du gäbest mir mit einem Blick, einer Bewegung, ein paar zugeneigten Worten Leichtigkeit zurück. Wie soll ich Dich nennen? Sehnsucht? (Ja, kommt hin.) Leidenschaft? (Sicher.) Wenn ich Dich denken müsste, dann hättest Du natürlich auch diese andere Seite. Die düster ist und nicht frei von Abgrund. Eine andere Seite, die Deine Grosszügigkeit und Freundlichkeit noch heller erscheinen lassen würde. Wie soll ich Dich nennen? Neugierde? (Bestimmt.) Glücksfall? (Oh, ja.) Kreative Kraft? (Genau.)

Egal wie ich Dich nenne, Sunshine, ich bin Dir unendlich dankbar. Für alles, was vergangen, für alles, was vielleicht kommen mag, für alles, was Du bist. Von Herzen: Danke!

Well, if you want to sing out, sing out
And if you want to be free, be free
‚Cause there’s a million things to be
You know that there are

Notiz an mich selbst

Es ist kalt in meiner Küche. Meine wunderbare Küche. Es ist Winter und ich möchte gern den Sommer, den Frühling zurück. Ich freue mich auf die erste Nachricht von Häschen, die etwa so lauten wird: „Schirmchendrink!“ oder „Riechst du es, der Frühling naht!“. Darum also: Notiz an mich selbst:

  • Tanzen!
  • Nachts durch den Wald laufen und sich sehr fürchten
  • Erdbeeren, Himbeeren, Blaubeeren
  • Nach dem Joggen mit allen Trainingsklamotten in den See springen
  • Abends auf dem Rücken in der Wiese liegen, den erdigen Geruch in der Nase und lange Gespräche führen
  • Fahrrad fahren, über Bordsteine springen
  • Den Pulli zu Hause vergessen und doch nicht frieren
  • Dachterrassen-Party
  • Alle Fenster der Wohnung öffnen, im Bett liegen und den Sommergeräuschen lauschen
  • Morgens um 6 nur in ein Badetuch eingewickelt über die Steine zum See staksen
  • Mit dem süssen Duft der Linden in der Nase deinen Geburtstag feiern
  • Schüchtern das Kies betreten und nach seinen Freunden Ausschau halten
  • Den nassen Bikini über die Wäscheleine hängen
  • Morgens um 7 aus dem Zug steigen und bereits schon die Sonnenbrille tragen müssen
  • Den Geruch von Sonne auf fremder Haut
  • Zu Hause keine Hosen tragen müssen, weil warm genug
  • Mit alten Zügen irgendwo auf der Welt fahren, wo sich die Fenster öffnen lassen, Fahrtwind im Gesicht
  • Entspannte und glückliche Menschen auf den Strassen (mit viel zu wenig an)
  • Offene Schuhe tragen
  • Eine Nachricht von Häschen bekommen: „Sommer feiern!“

Verwoben

Es gab einmal einen Künstler, ein Vorbild sozusagen, mit dem pflegte ich vor etwa zehn Jahren eine Brieffreundschaft. Es waren einige Nachrichten, die wir uns hin und her schickten, bis wir eine gemeinsame Sprache hatten, bis wir eine Tonlage hatten, die nur uns gehörte. Auf die letzte Nachricht von ihm, die ich erhalten habe und die ich je erhalten werde, denn er ist mittlerweile verstorben, hab ich nicht geantwortet. Meine unfertige Antwort liegt noch immer – seit fast zehn Jahren – in den „Entwürfen“ in meiner Mailbox. Als ich von seiner Krankheit aus den Medien erfuhr, habe ich ihm nicht geschrieben, ich dachte, ich hätte Zeit. Als ich dann von seinem Tod – diesmal über Push-Notification einer Zeitung direkt auf mein Mobile – erfuhr, habe ich fast nichts gefühlt. Ich hatte keinen Zugang zu meinen Gefühlen. Jetzt, da dieser Zugang zurückkehrt, trifft es mich sehr.

Ich weiss, dass man sich im Laufe eines Lebens solcher Dinge schuldig macht und man es nicht ändern kann. Trotzdem fühle ich jetzt die Reue, die Scham, die Trauer und die Demut.

Heute habe ich deine letzte Nachricht – nach fast zehn Jahren – das erste Mal wieder gelesen. Und da habe ich gefühlt, weshalb ich damals nicht darauf antworten konnte. Es war zu nah und viel zu weit weg. Zu weit weg von meinem Ton, von dem, was ich war und wie ich mich sah. Es war, als hättest du warme Butter über mich gekippt. Versteh mich nicht falsch, ich hätte natürlich darauf antworten können, ja sogar müssen. Ich hätte sicher einen Weg gefunden, wenn ich meiner mächtig gewesen wäre.

Hier hilft keine Entschuldigung und keine Blumen. Hier bin ich auf mich allein gestellt. Ich gehe jetzt durch die Trauer und die Scham und dann, wenn ich diese Gefühle hinter mir gelassen habe, fühle ich die Zuneigung, die Freude und erinnere mich an uns, daran was gut & schön war.

Ich sehe Dich in den Raum kommen, denke meinen viel zitierten Satz, denke auch: sehe nur ich das? Marianne befand später, Du sähest “ganz schön fertig “aus, die Seite sah ich nicht, ich sah etwas Exzessives, Gezeichnetes, Durchlässiges, Haptisches. Ich glaube ich mochte Dich schon da umarmen.

So sind wir, wir gehen ganz und gar zugrunde und erheben uns wieder.

Nichts zu verlieren?

Nach der Familienweihnacht gestern und den letzten vollgepackten Tagen, bin ich heute müde. Mit meiner Mutter hab ich also gestern über Verlust geredet. Sie sagt, als Seebub das Zeitliche gesegnet hat, hätte sie das erste Jahr wie im Nebel verbracht. Sie hätte sich noch nicht mal an sein Gesicht erinnern können.

So ist das. Wenn Dinge wahr waren, wenn sie so real, so intensiv waren und dann von einem Tag auf den anderen nicht mehr sind, dann scheint es plötzlich so, als ob sie gar nie wahr gewesen wären. Es verschwimmt alles, man blinzelt und fragt sich zuweilen, ob es überhaupt jemals existiert hat. Es gleitet einem aus dem Kopf, die Gedanken verheddern sich, man kriegt das lose Ende nicht mehr zu fassen. Und je mehr man sich zu erinnern versucht, desto weniger erinnert man sich. Da hilft nur, eine verrückte Yoga-Pose einzunehmen und zu atmen. Oder im Wald spazieren zu gehen und zu atmen. Oder laut zu singen und zu tanzen und zu atmen.

Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.“ (Lessing)

Hasenviech: Posterboys

Ausschnitt aus einer Hasenviech-Parade: Posterboys

Laufmasche

Es war der Weihnachtstag und sie hatte den ganzen Vormittag damit verbracht, Geschenke einzupacken, sich zurechtzumachen, das Kleid auszusuchen, welches sie heute Abend wird tragen werden und der Vorspeise – eine Gemüseterrine – den letzten Schliff zu geben. Sie war nervös, denn sie wusste, dass er da sein würde. Er war der Mann ihrer Cousine und sie waren sich im Sommer das erste Mal begegnet. Es hatte harmlos begonnen, sie war schliesslich seit Jahren ungebunden und war sich der eine oder andere Flirt, auch mit verheirateten Männern, gewohnt. Ihre Cousine hatte sie dann gemeinsam zur Tankstelle geschickt, um Bier zu holen. Er hatte sie bei der Hand genommen, um sie über die Strasse zu ziehen. Es war eine einfache Geste, eine sehr kleine Geste, jedoch eine sehr vertraute. Dadurch hatte diese Geste etwas höllisch subversives, vereinbarendes, zementierendes, dass sie in dem Moment begriff, dass man sogar kleinste Gesten nicht mehr zurücknehmen kann, wenn sie in der Welt, dann leben sie ein Eigenleben. Auf dem Rückweg war ihr die Tüte mit dem Bier gerissen, sie lachten sehr, waren auch schon etwas angesäuselt, sie ging auf die Knie, er folgte ihr, beim aufstehen hielt sie sich an ihm fest und er küsste sie auf den Mund. Es war ein überraschend sanfter Kuss, sie hätte erwartet, dass er ungestümer küssen würde. Sie küssten sich lange und ihr wurde schwindelig. Sie setzten sich auf eine Parkbank und waren sprachlos. Sie redeten nicht. Auf dem Weg zurück wusste sie, dass das kein Ausrutscher war, keine schnelle Nummer, kein Fehler. Es war tiefer, würdevoller und vor allem sicher.

Ihren Gedanken nachhängend, setzte sie sich aufs Bett, streifte ein Strumpfhosenbein über ihren Fuss, betrachtete den schimmernden Stoff, die roten Nägel ihrer Füsse, die durch das feine Schwarz der Strumpfhose einen eigentümlich mysteriösen Charakter annahmen und streckte ihr Bein in die Luft. Sanft rollte sie die Nylons über ihre Waden, übers Knie, dann stand sie auf und rollte den Stoff – so vorsichtig es ihr nur möglich war – über ihre Oberschenkel nach oben. Sie hatte sich überlegt, ob sie halterlose Strümpfe wählen sollte, sie mochte die Vorstellung. Sie hatte die Idee aber verworfen, es war ein Weihnachtsfest und sogar ihr schien das etwas zu gewagt.

Zwei Tage später hatte er sie angerufen. Seine Stimme am Telefon klang fremd, kühl, distanziert. Sie dachte, er würde ihr sagen, dass er das nicht gewollt hat und ihr vorschlagen, es zu vergessen. Sie war erstaunt, dass er stattdessen ein Essen vorschlug. Nur sie zwei, um zu reden. Das war jetzt fast auf den Tag genau fünf Monate her und sie war einmal mehr erstaunt, dass sie kein schlechtes Gewissen hatte, dass sie reinen Herzens war. Es war grotesk und unendlich seltsam, aber es war da. Sie hatte es wegzuwischen versucht, sie hatte es auszulöschen versucht. Aber es war da.

Als sie in die Küche eilte, um die Gemüseterrine aus dem Kühlschrank zu holen, merkte sie nicht, wie eine kleine Unebenheit der Türschwelle eine Masche ihrer Strumpfhose beschädigte. Es war noch nicht sichtbar, aber es würde sichtbar werden und war unausweichlich. Die Masche würde sich einen Weg nach oben bahnen, würde über ihre Schenkel wandern und für alle sichtbar einen Makel darstellen, einen Fauxpas, den es – ab der Sekunde wo sie ihn feststellen werden wird – sofort zu beheben galt.

Radical Hope

Es gibt Hoffnung. Zum Beispiel zeigt die Tate Britain für ein Jahr nur noch Kunst von Frauen. Recht radikal, oder?

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Gessnerallee, Zürich

Gestern war ich mit Badana im Kino. Wir haben einen sehr doofen Film geschaut, uns mit Gummitieren eingedeckt und es war wundervoll. Im Tram, auf dem Weg nach Hause dann, kam ich ins Gespräch mit zwei leicht angeschwipsten, sehr jungen Solothurnern, die mit mir eine Unterhaltung über Emma Amour führen wollten. Der eine Solothurner sagte, dass er sie sehr gerne läse. Da sei er wie eine Frau, er lese jede Folge. Ich habe ihn gefragt, was denn daran genau weiblich sein soll, wenn man jemanden gerne liest.

Dieses Gender-Thema ist so unheimlich nervtötend, es klebt wie eingetrockneter Sirup in Ecken und Fugen und man bringt es nicht los. Als gäbe es wirklich Unterschiede zwischen Mann und Frau. Da gibt es unendlich mehr Unterschiede zwischen weiblichem Individuum X und weiblichem Individuum Y. Ja, Männer sind (in der Regel / manchmal / statistisch gesehen?) körperlich stärker. Ich kenne aber einige Männer, die schwächer sind als ich. Und so weiter uns so fort… Ich sage ja, unheimlich nervtötend.

Ob Psyche, intellektuelle Begabung oder Hirnanatomie: Nur wenige Differenzen zwischen Männern und Frauen lassen sich zuverlässig nachweisen. Und die Frage, ob diese angeboren oder kulturell bestimmt sind, wird sich vielleicht nie eindeutig klären lassen.“ (Spektrum)

Ich wünschte mir, ich würde in einer Welt leben, wo es keine Rolle spielt, welches Geschlecht jemand hat. Wo es einzig und allein eine Rolle spielt, ob jemand höflich, herzlich, wild und nett ist.

(Mal ganz abgesehen davon, dass es Männer gibt, mit denen man sehr gut Frauengespräche führen kann. Nicht wahr, Gazelle?)

Sei was du bist, gib was du hast

Noch bist du da

Wirf deine Angst
in die Luft

Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Sei was du bist
Gib was du hast

Rose Ausländer

Dieses Gedicht hat mir „Zitat“ damals geschenkt. Wie es ihm wohl geht, was er wohl tut? Manchmal sind wir blosse Geburtshelfer, kurze Wegbegleiter. Manchmal sind wir füreinander gerade mal für drei Tage geschaffen. Für diese drei Tage aber perfekt. Und dann kommen wir an die Kreuzung, die wir lange schon am Horizont gesehen haben. Sie schien anfangs noch weit. Wir stehen also da. Schauen uns an, lachen. Geben uns die Hand und umarmen uns dann doch. „Trag Dir Sorge“, „Lass dich nicht unterkriegen“, „Wir sehen uns“. Ein letzter Blick zurück und schon schiebt sich die erste Erinnerung zwischen uns.

We can’t go on together with suspicious minds

Sie sass an der Bushaltestelle und ass Himbeeren. Es war Winter und ihr war klar, dass sie damit ihr Gewissen arg strapazierte. Doch der süsse Duft des Sommers hatte sie schwach werden lassen. Jetzt atmete sie aus, ein paar Mal hintereinander, um den Geschmack der Beeren lange in der Nase zu haben. Es war neblig und sie fror an die Beine. Sie nahm erneut eine Beere aus dem Körbchen und hielt sie zwischen Daumen und Mittelfinger und betrachtete sie. Sie stellte fest, dass die Farbe ihrer Fingernägel fast exakt die selbe der Himbeere war. Darüber musste sie lächeln.

Er hatte gerade seinen Job gekündigt. Endlich, nach langen Jahren des Zauderns und Zögerns. Die Personalabteilung hatte ihm mitgeteilt, dass er erstmal nach Hause gehen könne, man würde sich beraten und er solle sich morgen um 9 Uhr zu einem Gespräch einfinden. Aufgrund seiner Tätigkeit in strategischen Projekten ahnte er, dass er wohl für die Kündigungsfrist freigestellt werden würde. Er wusste nicht, ob er darüber erfreut sein sollte. Überhaupt hatte er gedacht, dass er erleichterter sein würde. Er fror und blickte von seinem Handy auf, um erneut auf die Anzeigetafel der Bushaltestelle zu schauen. Noch 2 Minuten. Und da sah er sie. Sie ass Himbeeren. Im Winter. Sie nahm eine Beere zwischen die Finger, betrachtete sie und lächelte. Es sah bezaubernd aus. Diese Versunkenheit, diese kleine Geste des Glücks. Und da schlug es ein, das Gefühl von Trauer, Unsicherheit und wahnsinnig grosser Zuversicht. Alles auf einmal. Er hätte auf der Stelle tanzen können und weinen. Gleichzeitig.

Sie blickte auf und sah in die Augen eines Mannes, der sie gedankenverloren anstarrte. Mit offenem Mund. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas anrührendes. Er sah nicht im eigentlichen Sinne gut aus, doch etwas an ihm gefiel ihr. Waren es seine Augen – ein helles Grün – oder war es sein Ausdruck? Sie wusste es nicht. Sein unverwandter Blick verunsicherte sie, doch sie fühlte sich gerade stark und fröhlich und deshalb nahm sie ihren ganzen Mut zusammen. Sie sah ihm direkt in die Augen und lächelte ihn an.

Seine Gefühle fuhren gerade Achterbahn, als er merkte, dass ihn die Frau mit den Himbeeren ansah, kurz zögerte und ihm dann ein Lachen schenkte. Er erschrak. Ein solch offenes Lächeln an einer Bushaltestelle war eine Seltenheit. Wahrscheinlich hatte er es noch gar nie erlebt. Eine unendliche Sekunde lang war er wie erstarrt. Und blickte dann zu Boden.

Der Bus kam, sie stieg ein. Er blieb sitzen. Er versuchte ihren Blick zu treffen als der Bus losfuhr. Die Frau mit den Himbeeren aber sah in die andere Richtung.

And we can’t build our dreams on suspicious minds.

Hirn fressen?

Irgendwo hab ich gelesen, dass es pflanzenähnliche Lebewesen in der See gibt, die – wenn sie geboren werden – sowas wie ein Rückenmark haben oder ein Nervensystem. Somit irgendwie ein Hirn. Sie sind also jung und suchen sich einen Platz zum leben. Sobald sie diesen Platz gefunden haben, wo sie leben können, werden sie sesshaft. Nun, da sie sesshaft sind, lohnt sich ein Nervensystem nicht mehr, da es zu viel Energie braucht. Sie sind ja jetzt an dem Platz angekommen, an dem sie sich den Rest ihres Lebens aufhalten werden. Um also Energie zu sparen und nicht nur das, auch um Energie zu generieren, essen sie ihr Hirn. Denn ein Hirn braucht man nur, wenn man in Bewegung ist. Wer sesshaft ist, braucht kein Hirn.

Beweglichkeit braucht also Geist. Ich habe letzthin jemanden kennengelernt, dessen Beweglichkeit im Kopf ist aussergewöhnlich. Das unglaubliche daran ist, dass er mitten unter Seepflanzen lebt und gar nicht merkt, dass er der einzige mit Nervensystem, dass er der einzige unter ihnen ist, der sich – theoretisch – bewegen könnte. Ich habe mich gefragt, ob ich es ihm sagen soll. Aber was würde das bedeuten? Nehmen wir mal an, er würde mir glauben. Würde er mich nicht dafür hassen, dass ich ihm eine Erkenntnis beschert habe, die ihm gar nichts nützt? Oder aber er weiss es bereits, tief in sich drin verspürt er vielleicht einen kleinen Anflug von Wagemut und Verrücktheit. Vielleicht denkt er sich – in stillen Stunden – dass alles möglich ist. Dass es keine Grenzen gibt mit einem Hirn. Dass Beweglichkeit nicht bloss eine schöne Zugfahrt von Bern nach Luzern bedeutet. Gerne möchte ich mir vorstellen, wie er eines Tages einfach aus seinem Leben spaziert. Die Jacke nimmt, allen fröhlich einen schönen Tag wünscht und sich in Welten begibt. Keine hastig dahingeworfenen Präsentationen mehr, keine Einkaufslisten, kein flimmern eines Bildschirms morgens um sieben im stockdunkeln Büro. Keine Hasten, kein Hetzen, keine unerbittlich fahrenden Fahrstühle mehr, keine gläsernen Türen. Was stattdessen? Ruhe, Zeit, Bewegung im eigentlichen Sinne (die sich ja immer am stärksten in Momenten der Unbeweglichkeit zeigt), Graustufen ausloten. Einen Drink mit einem Schirmchen vielleicht. Vielleicht sogar am Strand. Gedanken über Sinn, über Unsinn, über alles, alles, alles, was noch nie war und was vielleicht auch nie sein wird, jedoch einen kleinen Gedankenfunken wert ist.