Gekommen um zu bleiben

Ich sitze in einer fremden Wohnung, eine, die genau so ist, wie eine fremde Wohnung sein muss. Hinreichend fremd, seltsam vertraut, angenehm warm – so eine, wo einem das Herz aufgeht. Ich sitze also hier, bin ein Bisschen krank, meine Glieder schmerzen und doch bin ich innerlich ruhig.
Badana sagte letzthin mal, sie würde gern aus sich selbst auswandern. Diese Wohnung fühlt sich an, als wär sie der beste Ort, um zu rasten, für einen aus sich selbst Ausgewanderten. Und in einer Ecke meines Seins ist diese Wohnung auch Heimat für mich. Ankommen, bleiben, wachsen. Ich bin gerade gern, wo ich bin.

Das alles ist so anders. Anders, als alles zuvor. Ich sterbe tausend Tode und fürchte mich fürchterlich. Wenn Glück fassbar wäre, würde ich es jetzt in große Marmeladegläser einmachen, sie in den Keller stellen für schlechte Zeiten.
Es war nicht vorgesehen heimzukehren. Nun aber, da ich schon mal da bin, kann ich auch bleiben. Das nennt man dann wohl eine gelungene Überraschung.
xoxo

Es ist, wie es ist

Heute hab ich die Stadt zu meinem Wohnzimmer gemacht. Es war so ein Tag, an dem alles geschah. So viel Leid und so viel Freud. Wie sehr sich die Emotionen die Waage halten können! Da ist der Schock über die Endlichkeit. So sehr, dass ich mir verbitte darüber zu schreiben. Nur so viel: Es ist unendlich traurig. Mehr gibt es nicht zu sagen.

Dann – der Schock saß mir tief in den Knochen – ging ich raus und die Stadt begegnete mir mit so viel Wärme und Geborgenheit, ich hätte weinen mögen. Wir standen unter einem Fenster und riefen einer Freundin Namen, so, als wären wir Kinder auf dem Land.

Irgendwann am Nachmittag lag ich auf dem Sofa eines Freundes und lauschte seinem Klavierspiel. Unglaublich schön.

Und jetzt, jetzt bin ich bei Zauberlehrling, esse halbrohen Tintenfisch, lausche der Musik von Badana und fühle mich wohl. So sehr wohl, dass ich mich – angesichts der Umstände – dafür schäme. Und ich vermisse dich. Du hast gesagt: so ist das Leben. Und ich sage: Ja und nein. Ja und nein. Ja und nein. Manchmal muss man die Zwischenwelt, die sich auftut, wahrnehmen. So sehr es schmerzt. Man MUSS sie wahrnehmen.

Der Abend horcht an den Scheiben

Es gibt Augenblicke, in denen eine Rose wichtiger ist als ein Stück Brot.

Es gibt Augenblicke, in denen eine Rose wichtiger ist als ein Stück Brot.

Letzthin hab ich mit einem dicken Edding das Sprichwort „Sicherheit ist des Unglücks erste Ursache“ auf einen Tisch geschrieben. Es war Nacht und vom Fenster her wehte kühle Luft herein. Und als ich so schrieb, der Edding quitschte über das Holz, wusste ich, dass dies einer der wenigen Augenblicke ist, in dem ich (und ich mir) voll und ganz und in aller Unausweichlichkeit sicher bin.

„Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“ (Joachim Ringelnatz)

Es gibt verschiedene Formen des Glücks. Diese Form gerade ist eine, die mich sprachlos macht. Ich möchte sagen: Zum Glück. Zum Glück hab ich diesen Blog zu schreiben begonnen. Zum Glück hab ich den Arzt damals nicht geheiratet. Zum Glück bin ich am Leben geblieben. Zum Glück.

Ein Tor geht irgendwo
draussen im Blütentreiben.
Der Abend horcht an den Scheiben. (…)
(Rilke)

Les sanglots longs, blessent mon coeur

Tout suffocant
Et blême, quand
Sonne l’heure,
Je me souviens
Des jours anciens
Et je pleure

Hätte ich in diesen zwei Wochen dem Wind einen Namen gegeben, wäre es der Deinige gewesen. Doch der Wind ist der Wind, der Wind und verdient keinen Namen. Zu unstet, zu selbstverliebt. In diesen zwei Wochen habe ich das Meer lieben gelernt und dann und wann – wie es bei einer grossen Liebe üblich ist – hab ich es verabscheut, verdammt und verflucht. Den Blick auf den Horizont gerichtet, die Wellen, die Wolken, die Sonne und meine Gedanken. Es war, als hätte man mir das Hirn herausgenommen, aus der Schädelschale, als hätte ich mein Innerstes auf ein Bänkchen am Beckenrand gelegt und wäre ohne alles ins Wasser gesprungen. Hätte ich dem Meer einen Namen gegeben, es wäre der Deinige gewesen. Doch das Meer ist das Meer, das Meer und verdient keinen Namen. Zu gross, zu mächtig, zu gewaltig.

Et je m’en vais
Au vent mauvais
Qui m’emporte
Deçà, delà,
Pareil à la
Feuille morte.

Hätte ich dem Licht einen Namen gegeben, wäre es der Deinige gewesen. Doch das Licht ist das Licht, das Licht und verdient keinen Namen. Zu gestalterisch, zu gleissend. Heute, nach diesen zwei Wochen, blicke ich auf meine Hände und sehe von der Sonne gebräunte, raue Hände, durch deren Finger die Welt geglitten ist.

Es kann gar nicht hell genug sein. Es kann gar nicht gross genug sein. Es kann gar nicht weit genug sein. Nur wenn es weh tut, ist es gut.

Der schönste Teil der Urlaubsvorbereitung

Endlich Ferien!

Endlich Ferien!

Mein Bücherregal ist grossartig. Eine kleine Bibliothek, wo es immer wieder etwas zu entdecken gibt. Folgende Bücher hab ich nach langem hin- und her als Ferienlektüre ausgewählt:

  • Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer (Eine Empfehlung von Häschen und der Titel passt irgendwie.)
  • Annie Proulx: Schiffsmeldungen (Wenn ich schon aufs Schiff gehe…)
  • Andrej Szczypiorski: Den Schatten fangen (Szczypiorski ist schlicht und ergreifend immer gut.)
  • Truman Capote: Frühstück bei Tiffanys (Hab ich bis jetzt noch nie gelesen und Capote ist auf jeden Fall ein sicherer Wert.)
  • Celia Fremlin: Parasiten-Person (Da mag ich den Titel sehr und das Thema klingt spannend.)
  • André Gide: Die Schule der Frauen (Noch nicht gelesen. Wird Zeit.)
  • Jacques Chessex: Der Vampir von Ropraz (Hat mir der Verleger geschenkt und ich hab gerade Lust auf Tod, Geheimnis und Barbarei.)

Welche Bücher ich dann wirklich mitgenommen und welche ich dann auch gelesen habe, werde ich euch danach erzählen. Jetzt heisst es: Verweht, vorbei, nie wieder – Auf Wiedersehen & geniesst die Sonne!

Anders als die Anderen

Heute hab ich im Magazin das große Interview mit verschiedenen Berner Persönlichkeiten gelesen. Der letzte Satz war: „Wie Bern ist? Es ist nicht Zürich.“ Ich musste schmunzeln. Sich über die Negation zu definieren, macht man immer nur dann, wenn man sich unsicher fühlt, um nicht zu sagen minderwertiger. Schade eigentlich. Die Berner hätten so viel Grund stolz zu sein und sich auf sich selbst zu berufen. Aber eben: Hauptsache, man ist anders als die anderen. (Ich bin nicht du. Alles, nur nicht du.)

Gerade bin ich unterwegs nach Kreuzlingen. Mal wieder eine Schweizerreise. Nachdem ich letzte Woche in Chur war, geht’s nun in den tiefen Osten. (Du würdest jetzt sagen: „Jaja, in die Provinz“, mich lachend von der Seite anblicken und ich würd dich in die Seite puffen.)

Einsamkeit ist Belästigung durch sich selbst…

… sagt Werner Schneyder.
Und dann und wann gehen wir und stehen auf dem Gipfel und der Wind bläst uns um die Ohren und die Kälte kriecht unter unseren Multifunktionsjacken den Rücken hoch und wir sind allein.

„Bye bye, Rodeo Girls. I’m gonna love you, where ever I go.“ singen Sunrise Avenue und es klingt, als würde die Fremdsprache auch wirklich fremd sein. Heute hab ich einer Freundin den Kopf gewaschen: „Hör auf zu hoffen, hör auf zu lieben, es bringt nichts, es ändert sich nichts, sei nicht dumm. Ja, ich weiss, es schmerzt, aber wenn du jetzt gehst, dann schmerzt es irgendwann nicht mehr.“, habe ich gesagt und mir selbst aufmerksam zugehört. Wie heisst es bei Eels? „Well I like. Birds.“

Und dann und wann gehen wir und beobachten die Schwalben, wie sie schwerelos am Himmel stehen und unser Nacken schmerzt, weil wir zu lange nach oben gestarrt haben.

Nichts als die Wahrheit

Es gibt die Abende, wie dieser. Wo man sich einerseits unendlich verloren fühlt und andererseits Glück empfindet. Wenn ich Tränen hätte, würde ich sie weinen. Als ich heute Abend die Discokugel, dieses lächerliche Sinnbild für ausgelassene Freizeitkultur, anstarrte, kam ich mir sehr falsch vor. Was will ich hier? Warum bin ich da? Was, zum Henker, soll das?
Keine Antwort.
Ich glaube, ich brauche Ferien. Dringend. Ich möchte nicht in Discos sein, jetzt. Ich möchte nicht zu Hause sein, jetzt. Ich möchte in einer Wiese liegen, allein.
Heute Nachmittag habe ich einen Text geschrieben, ein Pausentext. Um mich vom großen, eigentlichen Text zu erholen. Sozusagen eine Fingerübung. Der Text geht so:

Wenn du schläfst, verdichten sich deine Wimpern und lassen deine Haut bleich erscheinen.
Wenn du schläfst, fühlt sich der Tag ebenmäßig an, in sich gekehrt. Dein Mund liegt beruhigt da, wie Sanddünen am frühen Morgen.
Wenn du schläfst, dein Arm unter dem grünen Kissen, erwache ich leicht. Gehe mit der Sonne auf – im Gleichschritt.
Wenn du schläfst, klingt dein Atem wie der Beginn von Worten.
Wenn du schläfst, befällt mich leise Heiterkeit. Eine, die hängen bleibt – tröpfchenweise.
Wenn du schläfst, ist es, als ob alles unverrückbar gut werden würde.

Pandoras .. äh. Friedas Büxe

Heute Abend war ich mit meinen Freundinnen unterwegs. Wir waren essen, waren in zwei Bars, haben geredet, getrunken und irgendwann, so gegen 2 Uhr, entschieden wir uns, in Friedas Büxe zu gehen. Friedas Büxe ist ein Klub in Zürich, in dem auch nachts um zwei noch was läuft. Nun. Ich kann sagen, es ist ein Unort. Allein die Tatsache, dass ich mit meinen Freundinnen da war, hält mich davon ab, diesen Ort als die Hölle zu bezeichnen. Ein Wort kam mir in den Sinn: Kloake. Es ist eine wahrhaft grandiose Kloake, die diesem Namen alle Ehre macht. Die Menschen sind vollgepumpt mit Drogen, kotzen in jede Ecke, von den anderen nicht weiter beachtet. Alle sind sehr sexy gekleidet, es tut in den Augen weh. Und obwohl jeder aussieht, als wolle er unentwegt „Sex!“ schreien, habe ich selten einen so asexuellen Ort erlebt. Da ist nichts. Keine Regung. Jeder ist wie in Plastikfolie verpackt seinem eigenen absurden und lächerlichen Schicksal überlassen. Wäre es nicht so traurig, ich hätte gelacht und gelacht. Diese Gesten da, diese Bewegungen!

Als ich diesen Unort verließ, hatte ich das akute Bedürfnis einen Kuhstall auszumisten, Blumen zu pflücken, Kinder großzuziehen, an einem Kachelofen zu sitzen, zu heiraten (in weiss!), Gedichte zu schreiben, mathematische Formeln zu lernen und im Wald spazieren zu gehen.

Für einmal noch bin ich ihr entkommen, der Kloake, mit ihren hässlichen Fratzen.

Basel – Zürich

Bin im Zug von Basel nach Zürich. Habe eine Nacht in Basel bei Gotte Miau verbracht. Gestern Abend sind wir vor dem Theater in die Brötli Bar Abendessen gegangen. Ein sehr lustiges Lokal. Danach „Das war ich nicht“ im Theater Basel. Toll! Ne echt gute Inszenierung. Hingehen! Unbedingt. Habe ja letzten Sommer das Buch gelesen und schon das hat mir ausserordentlich gut gefallen.

Und heute Mittagessen mit meiner Grossmutter. Sie fragte mich nach der Liebe und als ich mit den Schultern zuckte, erzählte sie mir von damals, als sie sich mit 16 verlobte und mit 18 heiratete. Sie sagte, dass es ja damals keine Pille gab und auch sonst wurde nicht verhütet. Man war sehr ungeschützt. Mein Grossvater habe dann auch zu ihr gesagt, er wolle warten bis zur Hochzeit, da er sie für alles andere viel zu gern habe. Ich habe ihr von der heutigen Zeit erzählt, wo sehr sorglos mit sich und anderen umgegangen wird. Alles und nichts ist jederzeit möglich. Was einerseits sehr gut ist und toll (wer würde sich was anderes wünschen?), andererseits gehen wir heute zu lieblos mit der Liebe um, was dazu führt, dass man entweder frustriert, abgeklärt oder völlig abgehoben romantisch in einer Sackgasse endet. Zu viel Freiheit führt leider halt auch zu Orientierungslosigkeit.
Meine Grossmutter hat mir noch von meinen beiden Urgrossvätern erzählt. Dass der Vater meines Grossvaters sehr konservativ war und geritten sei und gefochten hätte. Und dass ihr Vater ein Lebemensch gewesen sei, ein charismatischer Mann, der viele Freunde und Kontakte hatte.

Heute früh, als ich auf dem Balkon von Gotte Miau stand mit einem Kaffe in der Hand, als sich die Wolken mit dem Himmel vermischten, fühlte ich die Fuge in mir, den Riss, der immer grösser wird und mir wurde bewusst, dass ich mich verändere. Und dass diese Veränderung Früchte tragen wird. Jetzt brechen meine Gedanken, bald aber werden meine Taten, mein Leben brechen. Das ist sie also, die viel besungene Freiheit.

Gestern Morgen im Zug (in eine ganz andere Richtung):
Nebel liegt über meinem grünen Land. Es ist früh, mein Herz steht still. Es gelingt mir nicht, die Weite des grünen Landes, das unter dem Nebel liegt, in mir aufzunehmen. Die Zuversicht gelingt mir nicht. Diese Tränen sollen jetzt geweint sein, später ist dafür keine Zeit. So ist das mit Orten. Man begeht sie unaufmerksam. Zuweilen öffnet man die Augen, die grauen und lässt den Ort in sich wohnen – für immer. Ich trage viele Orte in mir, die mich an mich selbst erinnern. Wie ich war und wie ich sein werde. Und dann werde ich so, wie ich bin.